Sport: Parkour – Die Kunst der Fortbewegung

„Hier geht es nicht um coole Posen“ – Sebastian Ploog erzählt, was diese neue Sportart so besonders macht.

Ich stehe mit einem Freund auf einer abfallenden Straße circa 100 Meter oberhalb der Altonaer Norderelbe. Zwei Meter weiter ein breites Dach, dazwischen der Abgrund. Es ist Juli, die Sonne bescheint unseren in geruhsamen Bahnen verlaufenden freien Tag. Plötzlich nimmt ein durchtrainierter Athlet Anlauf, springt zielsicher einige Meter neben uns ab, landet locker auf dem Dach gegenüber und läuft gutgelaunt weiter. Wir starren ihm nach. Fassungslos, schockiert. „Der ist ja wohl bescheuert“, entfährt es mir augenblicklich.

Drei Monate später

Drei Monate später erzähle ich die Story Sebastian Ploog. Der 31-Jährige ist Vorsitzender des Vereins „Die Halle Hamburg – Parkour Creation“. Ansässig im Kreativquartier im Oberhafen der Hafen-City. Im Juli wurde Eröffnung gefeiert. Also in dem Monat meines Dachspringer-Erlebnisses. Ploog lacht. „Witzig, dass du gerade so was zum ersten Mal gesehen hast. Natürlich sieht so etwas spektakulär aus und ruft dann auch besorgte Eltern auf den Plan. Aber so etwas machen wirklich wenige von uns.“ Mit „uns“ meint Ploog Menschen wie ihn. Parkour-Läufer.

Parkour ist eine Trendsportart, die gerade in Hamburg boomt. Auch dank Ploog und seinen Mitstreitern. Eine 800 Quadratmeter große Halle haben sie hier in vierjähriger Präzisionsarbeit in zwei Räume mit diversen Hindernissen verwandelt. Auf Matten rollen, über Böcke springen, Holzwände hochklettern, sich aus einigen Metern Höhe in luftige Schaumstoffkissen fallen lassen – so gut wie alles ist möglich. Während unseres Gesprächs schlägt ein kleiner Knirps unter Aufsicht von Trainern ein paar Saltos. Es sieht kinderleicht aus. Nun bin ich offen dafür, Neues zu erfahren. Worum geht es beim Parkour genau?

Es ist eine Kunst der Fortbewegung

„Es ist eine Kunst der Fortbewegung“, sagt Ploog. Ursprünglich komme die Sportart aus Frankreich. Ein Fremdenlegionär übertrug seine Fluchttechniken in den Stadtraum Paris. Per Internet verbreiteten sich Videos der sich ungewöhnlich fortbewegenden Menschen, die über Zäune springen oder mit Überschlägen Hindernisse überwinden, Anfang dieses Jahrtausends. Da setzte der Boom ein. „Parkour ist einfach die freie Art der Fortbewegung durch den urbanen Raum. Es geht darum, sich selber individuell in Bewegung mit seiner Umwelt auszudrücken. Ein Parkour- Läufer lebt die Freude an der Bewegung aus, aber ohne Gegner. Es ist kein Wettkampf “, sagt Ploog. Er selbst kam durch die berühmten „Matrix“-Filme dazu. „Ich fand die Filme super und dann hörte ich, es gibt Menschen, die können das ohne Seile und Computereffekte. Da fing ich an, mich für den Sport zu interessieren.“ Der ständige Nervenkitzel durch das dauernde Springen von Dach zu Dach werde aber nicht gesucht. „Wer so etwas tut, hat vorher jahrelang dafür trainiert. Kontrolle wird in der Szene sehr hoch angesehen. Statistisch gibt es auch wenige Verletzungen. Es gibt eben keine externen Einwirkungen wie beim Fußball, wo einem einer die Beine wegzieht oder man einen Ball ins Gesicht bekommt.“ Die Bandbreite der Sportler ist daher sehr hoch. Vom coolen Breakdancer bis zur Couch-Potato, die ihrem Leben einen neuen Drive geben will, ist alles dabei. Und seinen Körper in Schwung bringen kann letztlich jeder. Es müssen ja keine Tore erzielt oder Gegner gedeckt werden, jeder kann nach seinem Tempo lernen.

Gefördert wurde das Projekt

Gefördert wurde das Projekt durch aus einem Crowdfunding erlöste 28.000 Euro, diverse Mittel der Stadt Hamburg und durch den Hamburger Sportbund (HSB). „Die Stadt, die Poliktiker aller Parteien, der HSB – alle zeigten sich sehr aufgeschlossen und da haben wir wirklich zu danken“, erklärt Ploog. So ist der Verein „Parkour Creation“ beispielsweise Stützpunktverein im HSB-Programm „Integration durch Sport“ (IdS). Das IdS finanzierte zu einem großen Teil die beweglichen Sportgeräte und Ausrüstungsgegenstände für das Training sowie ein mobiles Parkour-Klettergerüst, um Integrationsprojekte auf diversen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen vorzustellen. Sogar einen Integrationslotsen gibt es, der mit Geflüchteten Projekte aufbaut und weitentwickelt. Das vielfältige Angebot schlug nach der Eröffnung sofort ein. Schon in den ersten drei Monaten nach dem Start strömten Tausende Leute in die Halle. Es gibt mittlerweile sechs Kurse für Kinder, sechs für Teenies, fünf für Erwachsene, und diverse Integrationskurse für Flüchtlinge. Damit sich niemand überfordert, wurden qualifizierte Trainer eingestellt.

So wie Mido

So wie Mido. Der junge 21-jährige Syrier steht geradezu sinnbildlich für die philosophische Dimension des Parkour- Sports. Auf Hindernisse trifft schließlich jeder immerzu und überall. Diese spielerisch und kreativ zu lösen, einen gesunden Umgang mit der eigenen Angst und den eigenen Grenzen ohne Leistungsdruck zu erlernen, kann zur befreienden Lebensaufgabe werden. Selbst unter den widrigsten Bedingungen. „Mit Parkour habe ich schon in Damaskus angefangen. Zusammen mit einigen anderen Hip-Hoppern. Parkour ist mein Leben“, erzählt der junge Flüchtling. Er lacht viel. Schon seit jeher faszinierte ihn die Beweglichkeit des menschlichen Körpers. Über die Türkei und den Libanon kam er 2015 nach Brandenburg, durch einen SPIEGEL- Artikel namens „Parkour“, in dem sich Autor Alexander Osang begeistert von seinen „Überschlägen und gehockten Saltos“ zeigte, entstand der Kontakt nach Hamburg. Hier hat Mido nun sein Glück gefunden. Trotz allem, was ihm widerfuhr, strahlt er. „Das Wichtigste beim Parkour ist das Miteinander. Nicht irgendwie einfach etwas machen, sondern miteinander sprechen, vor allem mit dem Trainer. Sich gut warm machen, Stück für Stück und mit System dazulernen“, sagt er. Passend zum Gemeinschaftssinn, ergänzt Ploog, sei daher der Leistpruch des Parkour: „Sei stark, um anderen nützlich zu sein.“ Ploog: „Wir gehen hier alle sehr ruhig und bedacht miteinander um. Ums coole Posen geht es uns nicht.

Als er das sagt, muss ich wieder an mein Erlebnis in Altona denken. Plötzlich ist mir mein damaliges Verhalten etwas peinlich. Wie sehr der erste Eindruck doch täuschen kann.

www.diehalle.hamburg

Text: Mirko Schneider

Beitragsbild: Olaf Janko


Dieser Artikel erschien erstmals in SPORT – Das Magazin der SZENE HAMBURG und des Hamburger Sportbunds 4/2017

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