Opera Stabile: Inniger Liebesgesang und atemloser Horror

15 Jahre war Anne Frank, als sie 1945 im KZ Bergen-Belsen starb. Zuvor dokumentierte das jüdische Mädchen sein Leben im Versteck eines Amsterdamer Hinterhauses: „Das Tagebuch der Anne Frank“ gehört zur Weltliteratur und wurde mehrfach verfilmt. In Hamburg kommt es nun als Graphic Opera auf die Bühne
Möchte vor allem junges Publikum erreichen: Regisseur David Bösch (©Sandra Then)

Graphic Opera – benannt nach dem Vorbild der beliebten Novel, aber dreidimensional und mit Musik. Die Idee zum neuen Genre entstand während des Pandemie-bedingten Lockdowns. Regisseur David Bösch machte damals aus der Not etwas Neues: eine Kombination aus Oper, Film und Schattenspiel-Animation. 2021 entstand die „Weiße Rose“ als erstes Werk dieser Art zu Udo Zimmermanns gleichnamiger Komposition an der Staatsoper Hamburg, seinerzeit jedoch gar nicht für die Bühne, sondern als Film von Bösch für den TV-Sender Arte inszeniert. Die Pionierarbeit wurde hochgelobt als „genial gelungene Hommage an Sophie und Hans Scholl“ (SZ) und mit dem Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares ausgezeichnet. Jetzt folgt „Das Tagebuch der Anne Frank“, wiederum auf Initiative von David Bösch.

„Musik ist Emotion, kriecht unter die Haut, schneidet die Nerven und beruhigt sie“

David Bösch

Der erfolgreiche und preisgekrönte Regisseur inszenierte Schauspiele – unter anderem als Hausregisseur am Burgtheater Wien –, bevor er 2009 zum Musiktheater fand. Seither prägt er mit seiner Regiehandschrift große Opernhäuser in Europa. „Musik ist Emotion, kriecht unter die Haut, schneidet die Nerven und beruhigt sie“, so Bösch. „Sie ist der Lyrik näher als der Epik und transportiert Gefühle viel direkter als die hitzigste Sprache, die immer erst eine intellektuelle Verarbeitung durch das Publikum braucht.“ Vor allem junges Publikum will er mit dem neuen Format erreichen, Schwellenängste auf dem Weg zur Musik des 20. Jahrhunderts abbauen.

1972 wurde Grigori Frids einstündige Oper „Das Tagebuch der Anne Frank“ in Moskau uraufgeführt. Sie teilt sich in 21 Szenen, die Titel tragen wie „Geburtstag“, „Schule“, „Traum“, „Erinnerung“ und „Diebe“. Bei seiner Vertonung nutzte Frid ausschließlich Tagebuch-Texte, die den psychischen Druck, der auf Anne lastete, ebenso deutlich machen wie ihren unbändigen Lebenswillen, der selbst durch die Isolation im Versteck nicht gebrochen werden kann. Dirigent Volker Krafft formuliert es so: „In weichen Klängen träumt sich Anne mit dem Orchester aus der Enge ihres Hinterzimmers. Dann verwandelt sich das Ensemble plötzlich in eine martialische Marschkapelle, um im nächsten Moment wieder zu einem innigen Liebesgesang zurückzukehren, bevor wir uns fast in einem Horrorfilm wiederfinden und uns durch instrumentale Effekte wie Glissandi fast der Atem genommen wird.“

Die Unmittelbarkeit des Musiktheaters

Jene Unmittelbarkeit des Musiktheaters schätzt auch Bösch: „Eine Oper hält sich nie lange mit der Exposition auf, man ist viel schneller in der Geschichte.“ Frid schrieb die Monooper für Orchester und eine Sopranistin, in Hamburg wird die Britin Olivia Warburton die Rolle übernehmen; sie hat diese Partie bereits gesungen und verfügt über eine sehr junge Ausstrahlung. Sie ist gründlich gefordert, denn der Komponist lässt Anne singen, schreien und flüstern, sie jubelt und manchmal versagt ihr beinahe die Stimme. „Das Publikum wird fast erstickt von der Dichte und Enge der Musik: Wir werden mitgenommen in Annes Versteck, atmen stickige Luft und wagen es kaum, ein Geräusch von uns zu geben, um nicht entdeckt zu werden“, so Krafft.

David Bösch wird seine Inszenierung um gesprochene Texte von Anne Frank bereichern, die ihn berührten, aber nicht vertont wurden, wie jener Satz der erst Vierzehnjährigen: „Wie wunderbar ist es, dass niemand einen Moment warten muss, bevor er anfängt, die Welt zu verbessern.“ David Böschs Credo klingt sehr verwandt: „Ich glaube an die Kraft der Kunst. Ich denke, dass ein Buch oder ein Popsong, ein Graffiti oder eine Sinfonie Trost und Verständnis geben kann.“

Opera Stabile“, 25. November 2023 (Premiere), 27.–29. November 2023 und weitere Termine

Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 11/2023 erschienen.

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