Ein Text von Gerhard Fiedler & Heiko Kammerhoff
„Wie alle Zeitungen ist auch die SZENE in diesem Monat etwas dünner als normal – wie bei allen Zeitungen liegen die Ursachen dafür im Anzeigenaufkommen. ( … ) Mit anderen Worten: Der SZENE geht es schlecht wie eh und je.“ Was so klingt wie die fast schon resignative Kapitulationserklärung eines alten Haudegens im harten Geschäft des Medienmarktes, findet sich im Editorial der August-Ausgabe von SZENE HAMBURG im Jahre 1974. Nach gerade mal neun Monaten ist für den frischen Herausgeber und Chefredakteur Klaus Heidorn Zeit bereits zu einer relativen Größe geworden.
Überhaupt, der Mammon: Haben die Macher des zarten Pflänzchens SZENE HAMBURG eigentlich hehre Absichten oder sind die Jungunternehmer gleichzusetzen mit den Medienkonzern-Kapitalisten, gegen die man doch die Jahre zuvor als aufrechte Linke immer wieder protestiert hatte? Zeit für eine Richtigstellung noch ein paar Monate vorher: „halten sich hartnäckige Gerüchte von cleveren Menschen, die nur eine schnelle Mark machen wollen. Nur der Kommerz sei Vater des Gedankens – sagt man. ( … ) Verdient haben wir bis jetzt an der SZENE keine einzige Mark, und jeder, der mitgearbeitet hat, hat umsonst mitgearbeitet. ( … ) Wir werden weiter ein Haufen von ,liberalen Scheißern‘ bleiben und an unserem Konzept festhalten. Für uns ist nun mal eine vielseitige Stadtzeitschrift eine gute Stadtzeitschrift.“ (04/74) Denn der Mix macht’s, das war damals so – und hat sich bis heute nicht wesentlich geändert. Schon im ersten Jahr finden sich zwei Elemente, die in den folgenden immer wieder gern ins Heft gehoben werden: „Das Karolinenviertel“ ist der Auftakt für unzählige Stadtteilreports („Mit viel Leben und Schwung hinter den Fassaden“) und im Dezember kommt die Mutter aller Lifestyle-Themen auf den Titel: „Was Sie über Saunen wissen sollten“ – ein Winterklassiker. „Leben in Hamburg nur Idioten?“, fragt ein Artikel im Juli 1979 anlässlich von Randale in zwei doch sehr unterschiedlichen Gesellschaftssphären: Hooligans im Volksparkstadion und Reggae-Fans beim Peter-Tosh-Gastspiel im Audimax, die keine Karte mehr bekommen hatten.
SZENE HAMBURG, die 80er-Jahre
Nach vielen politischen Features um die Jahrzehntwende über die Themen der Zeit – Gorleben, Gorleben, Mühlenberger Loch (schon damals expandierte Airbus), Brokdorf, Moorburg („Der Tod einer Dorfgemeinschaft“) – wagten sich SZENE-Autoren im März 1982 nach Steilshoop, um ihre Eindrücke unter der Titelzeile „Jugendstrafanstalt Steilshoop – Die menschenfeindliche Mustersiedlung“ zusammenzufassen. Die erbosten Leser-Zuschriften ließen nicht lange auf sich warten: „Zu Ihrem vertrieblichen Erfolg beim Verkauf dieser Ausgabe wäre Ihnen zu gratulieren, denn die Einzelhändler waren im Nu mit diesem Heft ausverkauft. Nicht zu gratulieren ist den Autoren dieses Berichts, die in diesem Fall ein Lehrstück an Krawalljournalismus vorgeführt haben.“ Und wie steht’s mit dem Sex? Ein heikles Thema und häufig auch noch mit einem Ismus-Vorwurf versehen: „Sehr geehrte Damen und Herren, ich protestiere aufs Schärfste gegen Ihr Titelbild der November Ausgabe von SZENE. ( … ) Ich fordere Sie auf, sich für dieses Bild zu entschuldigen und in Zukunft solche frauenfeindlichen Darstellungen zu unterlassen. Den Kauf Ihrer Zeitschrift boykottiere ich. Hochachtungsvoll!“ (12/82) – „Eure Ankündigungen zur Frauenwoche sind so erbärmlich hilflos aggressiv, dass ich, wie schon öfters, erkennen muss, dass ihr in puncto Frauen doch recht arme Klemmis seid. Ihr tut mir Leid.“ (04/86).
Während in jener Zeit ein beträchtlicher Teil des Anzeigenerlöses offensichtlich von Friseurläden erzielt wurde, die dem Publikum die neue fesche Haarmode näherzubringen versuchten („Wir bringen sie!!! Die neuen Gel-Locken: Waschen-Gelen-Kneten, Fertig. Täglich neu …“), zeitigen die boomenden Achtziger auch anderswo erstaunliche Hedonismus Exzesse: „Ich möchte Ihnen meine Anerkennung dafür aussprechen, dass Ihre News größtenteils in einer außerordentlich anregenden Manier abgefasst sind. So fällt es denn auch nicht weiter ins Gewicht, wenn die Recherche gelegentlich offenkundige Mängel aufweist. Trotzdem ist es mir ein Bedürfnis, Folgendes richtigzustellen: Der grauhaarige ,Spiegel‘-Redakteur zündete sich seinen Zigarillo im ,Shantil‘ nicht mit einem Fünfhundert-, sondern mit einem Tausendmarkschein an. Ich weiß es … Ich war dabei.“ Manch einer muss sich aber noch ein wenig an die neue Zeit gewöhnen: Voller Unbehagen schildert der SZENE-Kritiker seine Gedanken beim ersten Musical-Besuch seines Lebens: „Der luxuriöse Parkettsitz, in dem ich dem Auftritt der tanzenden und singenden Samtpfötchen entgegenfiebere, war so teuer wie 215 Whiskas-Schleckertöpfchen.“ (05/86).
SZENE HAMBURG, die Wiedervereinigung und die wilden 90er
Sehr verwirrend wird es im Zuge der Wiedervereinigung: Ist das ein Thema für eine Stadtzeitschrift? Ist unsere politische Meinung eigentlich kategorisierbar? Ein Leser aus Norderstedt jedenfalls weiß, was SZENE HAMBURG wohl nicht ist: „Wie kommen Sie, Ronald Gutberlet, zu der Vermutung, dass sich das Blatt, für das Sie schreiben, als ,irgendwie linksstehend‘ versteht?“ Andere haben jedoch genau denselben Eindruck wie der Redakteur – und sie mögen es nicht: „Was mich derzeit am meisten stört, ist die immense Zunahme politischer Artikel und Kolumnen (oder sollte ich sagen: Agitationsschriften). Früher ging’s doch auch ohne. Schließlich kann nicht jeder eure politische Einstellung teilen – das tun ja anscheinend nur 0,2 Prozent der West-Bevölkerung. Also erspart uns den Quatsch in diesen Mengen. Nachdem die Würfel für die nächsten Jahre gefallen sind, könntet ihr euch doch mal wieder auf eure eigentlichen Stärken konzentrieren. Damit meine ich vor allem den Kultur- – und besonders den Filmteil, den besten Deutschlands.“ (01/91) Den besten Filmteil Deutschlands goutierte dieser Leser Monat für Monat übrigens in Lüdenscheid. Wenn Kritiker kritisieren, dann können diejenigen, über die geschrieben wird, die Urteile ignorieren oder aber reagieren wie dieser französische Restaurantbesitzer, der nach einem SZENE-Artikel über sein neu eröffnetes Lokal – in dem zum Beispiel die Fasanenbrust als „hart, trocken, steif“ beschrieben wird – zur Feder griff: „Hallo, Sie bösartiger Mensch! Sind Sie stolz auf lhre gegen uns lancierte Kampagne? Und das kurz vor Weihnachten? …“ Den absoluten Tiefpunkt an Geschmacklosigkeit, in der Rückschau jedoch ein Meisterstück unfreiwilliger Komik, ist das Titelbild im Mai 1992: „Wir tanzen immer noch – Lebensfreude und positives Denken in den Zeiten von HIV“ – dazu bunt gekleidete, lachende Schwarze. Erstaunlich: Ist doch die Titelgeschichte selbst eine ganz seriöse Auseinandersetzung mit der Problematik. Skurril auch das Topthema im August 1996: „Intim“, wobei auf einer einzigen Doppelseite 27 Penisse abgebildet sind, als Illustration eines Artikels über die Vor- und Nachteile der Beschneidung. Wie hatte schon ein Leser ein halbes Jahr zuvor kommentiert „SZENE HAMBURG und die Welt der Erotik, naja alle paar Monate könnt ihr es anscheinend immer noch nicht lassen, den Leser mit einer abgenudelten Sexgeschichte zu erschrecken. Interessiert euch das wirklich? Mich jedenfalls nicht. Auffällig ist dabei nur euer Erfindergeist. ,Komm zu Haus‘ – auf so etwas muss man erst mal kommen. Heißer Trend: Man treibt’s; wieder in den eigenen vier Wänden. Was für eine Neuigkeit. Wo hat man es denn vorher getrieben? Auf der Straße? Im Büro? Viel Stoff für die nächsten Sexgeschichten.“ Erstaunliches für die Leser fördern jene Geschichten zu Tage, in denen die Redaktion sich beziehungsweise ihre Lieblingsdinge oder -orte vorstellt. Im Juni 1996 waren es Plätze, an denen man sich im Sommer gern aufhält. Was dabei rauskam: Park hinter der Flora, Horner Kreisel, Parkdeck, Ohlsdorfer Friedhof. Besorgt fragte eine Leserin: „Nach der Lektüre der Geschichte habe ich den Eindruck gewonnen, dass bei Ihnen keine normalen Menschen arbeiten können. Es muss ja wohl immer was Schräges sein, damit Sie sich amüsieren können. Gehen Sie eigentlich nie ins Schwimmbad? Spazieren Sie nie an der Elbe entlang? Vergnügen Sie sich nie im Stadtpark? – Nein, so was tun wir nicht. Red.“
Anfang der 2000er: „Eppenhude“, das Internet, ohne Zigaretten
Das war natürlich schon ein wenig geflunkert. Denn in den 2000ern beginnt der SZENE-Run auf Hamburgs Stadtteile so richtig. Neben den Klassikern wie Schanze, St. Pauli, Altona, Eimsbüttel und „Eppenhude“ mit ihren Alster- und Elbe-Ufern, ihren Parks und ihren gastronomischen und Shopping-Angeboten, wird auch mal in den Osten der Stadt nach Barmbek oder in den Süden nach Harburg und Wilhelmsburg gereist. Auch der Hafen, das Hamburger Lieblingsobjekt, schafft es auf den Titel. Durchschnittlich werden von nun an sechs Mal im Jahr Hamburger Stadtteile entdeckt – die schönen und die hässlichen Seiten, ihre Bewohner und Beweger. Den Beginn macht die Ausgabe „Fuck Berlin“ in 2001, die natürlich fundiert nachweist, dass die Hauptstadt blöd und es an der Elbe einfach besser ist. Logisch. Dass in der Hansestadt allerdings nicht alles so toll ist und es gerade politisch recht heftig brodelt, machen Titel wie „Hamburg gnadenlos“, der der Anti-Schill-Fraktion eine klare Stimme gibt, oder „Hamburgs Kultur-Kampf – Kulturmetropole oder Eventhochburg“ deutlich. Und doch ganz zeitgeistig hält der Hamburger Lifestyle auch Einzug in die Themengestaltung der SZENE. Es wird Rad gefahren, Gelaufen, Stuntfighting betrieben (was war das noch?), mit Parkour über Mauern und Straßen geflitzt und und und.
Mehr Stadtleben, mehr Gesellschaft, mehr Service? Neue Ideen mussten her
Auch das Internet war bereits Ende der 90er entdeckt worden. Und damit sich die neuen User (eigentlich ja Leser und Leserinnen) auch in den neuen Welten zurechtfinden, wurden wir von Lilli an die Hand genommen. Denn Lilli, der persönliche SZENE HAMBURG-Online-Escort-Service, wusste immer, was wann los war und ob das was auch lohnenswert wäre. Wirklich sehr nett von den SZENE-Leuten, so dienstbeflissen zu sein. Dienstleistung und Service waren die zentralen Herausforderungen der hedonistischen Welt, ohne dabei den gesellschaftlichen Diskurs ganz zu vergessen. Es schienen so schöne Zeiten anzubrechen. Aber die dunklen Wolken für Stadtmagazine zogen so langsam heran. So freudige Tätigkeiten wie das Rauchen sollten geächtet werden, das heißt, es sollte und durfte keine Werbung mehr für Produkte, die diese Tätigkeit erst möglich machten, in Print-Produkten veröffentlicht werden. Auf Plakaten und im Kino blieb es erlaubt – das nahm ja niemand wahr –, aber die Verführer in den Zeitschriften mussten gestoppt werden, für Stadtmagazine bundesweit ein tragisches Ereignis. SZENE verlor ihre besonders treuen Freunde Camel, Gauloises und Marlboro. Nicht einfach zu verkraften.
Neue Themenhefte und das Ende der Kontaktanzeigen
Mehr Stadtleben, mehr Gesellschaft, mehr Service? Neue Ideen mussten her. Es wurde experimentiert. Der Anteil an Berichterstattung und Meinung zu kulturellen Themen wird erweitert, indem im zweimonatlichen Rhythmus regelmäßig beigefügte Broschüren wie „oT“ für die bildende Kunst oder „Theatralisch“ für die darstellenden Künste ihren Weg in die Monatsausgaben der SZENE fanden. Immer neue Themenhefte unter der Marke SZENE HAMBURG wie SZENE HAMBURG Kauft ein! oder SZENE HAMBURG Geschichte erschienen. Zeitgleich versucht sich der Verlag als Content-Zulieferer und Produzent von Auftragspublikationen zu etablieren. Denn der Glaube an die Zeitschrift, das Bedürfnis zu lesen und dabei etwas anderes als ein Tablet in der Hand zu halten, war unerschütterlich und die wirtschaftlichen Möglichkeiten, digitale Welten zu erobern, eher beschränkt.
Herausgekommen ist eine Titelvielfalt von hässlich bis schön, von blöd bis klug, von desaströs bis erfolgreich
Auch die so unterhaltsame und häufig geradezu sehnsüchtige Lektüre der Kontaktanzeigen wie „Leicht devoter 35j sucht dom. Ältere Frau ab 43 für Flirt/Bez …“ wird immer dürftiger. Die „Alltags-Literatur“ wandert ins Netz. Die Zeiten kreativen Schreibzwangs in wenigen Spalten findet in den 2010er-Jahren ihr Ende. Schade eigentlich. Apropos muss an dieser Stelle die wohl berühmteste Veranstaltung der SZENE benannt werden: Fisch sucht Fahrrad – die Party mit der Nummer. Die über Jahrzehnte wohl erfolgreichste Kuppel-Party der Republik (die Ur-Party wurde in Frankfurt erfunden, dann erst kam FSF über Berlin nach Hamburg). Wie bedeutend die Marke SZENE HAMBURG auch im internationalen Kontext war, wurde spätestens im Spielfilm „Taxi“ nach dem gleichnamigen Bestseller von Karen Duve deutlich. Der Film mit Rosalie Thomass und Peter Dinklage in den Hauptrollen spielt im Hamburg der 80er-Jahre und entstand im Hamburg des Jahres 2015.
Die Diskussionskultur in den über die Zeit verschiedenen Redaktionen war immer recht ausgeprägt und manchmal – aber eher selten – auch streitlustig. Eines der dabei besonders beliebten Themen war die Auswahl der jeweiligen Titelmotive. Hier wurde alles ausprobiert: von der basisdemokratischen Diskussion und Festlegung nach dem Motto, welcher Titel bekommt die meisten Stimmen bis zur einsamen autokratischen Entscheidung. Es wurden Untersuchungen am Kiosk und bei Leserinnen und Lesern durchgeführt und wenn die Ratlosigkeit besonders groß war, wurden auch schon einmal Außenstehende wie Werbeagenturen rangelassen. Dabei herausgekommen ist eine Titelvielfalt von hässlich bis schön, von blöd bis klug, von desaströs bis erfolgreich.
SZENE HAMBURG: Ein Labor des Journalismus
Und dann kam Corona. Was macht eigentlich ein regionales Kulturmagazin, worüber berichtet es in Zeiten, in denen es keine Kultur gibt und eine Ausgangsperre verhängt wird? „Zusammen da durch!“ hieß es auf der April-Ausgabe 2020. Und so sollte es sein. Auch wenn der Programmteil mangels Veranstaltungen kaum noch vorhanden war, war die Solidarität mit der SZENE und in der Redaktion umso größer. Bis es dann im Sommer 2021 wieder heißen konnte: „Wir sind wieder da“, einer Zusammenstellung von Statements Hamburger Kulturschaffender zum Hamburger Kultursommer, einer Initiative der Behörde für Kultur und Medien, um das Leben in der Stadt wieder anzukurbeln.
Irgendwie ist SZENE HAMBURG schon ein gutes Beispiel für das geflügelte Motto „von der ewigen Wiederkehr des Gleichen“ des Philosophen Friedrich Nietzsche. Allerdings wird dabei eines, vielleicht das Wichtigste überhaupt ein wenig außer Acht gelassen: die Menschen, die Macher und Macherinnen. Denn diese haben immer gewechselt. Für diese war die Redaktion der SZENE auch eine Art Labor des Journalismus. Es konnten neue Ideen, Themen und Vorstellungen eingebracht werden. Es konnte ausprobiert werden, es konnten Erfahrungen gesammelt werden und an den Fähigkeiten des Schreibens und der Zeitschriftengestaltung gefeilt werden. Diese „Schule des Lebens“ war zwar wenig auskömmlich für die Schreibenden, aber der mitgebrachte Idealismus und das Engagement waren und sind außergewöhnlich. Wobei wir eigentlich wieder am Anfang sind, bei den Idealisten und den Idealistinnen, die unter wirtschaftlich schwierigen Bedingungen eine außergewöhnliche Arbeit machen. So war es 1973, so ist es 2023 und so wird es wahrscheinlich 2073 noch sein. Halt dann doch „die ewige Wiederkehr des Gleichen“ als permanente Lebensbejahung.
Dieser Text ist in einer langen Version im Jubiläumsmagazin von SZENE HAMURG erschienen, jetzt zusammen mit der aktuellen Monatsausgabe am Kiosk oder online bei uns im Shop.