Devid Striesow: „Das Stück nimmt alle in den Arm“

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„Verrückt nach Trost“: die Geschwister Felix (Devid Striesow) und Charlotte (Ursina Lardi) (©Armin Smailovic)

Theaterregisseur Thorsten Lensing, gefeiert und mehrfach ausgezeichnet für seine freien Produktionen mit einer erlesenen Riege an Schauspielern, hat mit „Verrückt nach Trost“ erstmals ein eigenes Stück geschrieben. Devid Striesow tritt – wie seine drei Kollegen – in vielen Rollen auf

Interview: Sören Ingwersen

SZENE HAMBURG: Herr Striesow, Sie sind neben Sebastian Blomberg, André Jung und Ursina Lardi, einer der vier Darsteller in „Verrückt nach Trost“, dem ersten selbst geschriebenen Stück von Thorsten Lensing. Wie lange arbeiten Sie schon mit diesem Regisseur zusammen?

Devid Striesow: Unsere erste Zusammenarbeit liegt bereits 15 Jahre zurück. Damals hat Thorsten eine Lesung für mich eingerichtet, mit der ich heute noch auftrete.

Im Feuilleton ist immer von Thorsten Lensing und seiner „Theaterfamilie“ die Rede? Wie würden Sie diese Familie beschreiben?

Dieser familiäre Aspekt verbindet die Arbeitsweise der Regisseure Thorsten Lensing und Jürgen Gosch, mit dem ich am Anfang meiner Karriere sehr oft zusammengearbeitet habe und bei dem ich viel ausprobieren konnte. Auch Thorsten setzt auf langfristige Zusammenarbeit. Wir können uns entwickeln, das ist ein unglaubliches Geschenk! Vergleichen lässt sich das vielleicht am besten mit Tanz-Kompagnien, die ja auch sehr geschlossene Einheiten bilden und sich von ersten Augenblick an der Nähe zueinander hingeben. Das erfordert ein großes Vertrauen, das es bei uns ebenfalls gibt. Es ist sehr hilfreich, wenn man sich gegenseitig nicht mehr infrage stellt.

Was war Ihr erster Eindruck vom Text?

Den Text haben wir am ersten Probentag bekommen. Wir konnten uns also überhaupt nicht vorbereiten und haben das Stück dann alle gemeinsam zu ersten Mal gelesen. Dadurch entwickelte sich eine ganz eigene Dynamik der Vorfreude auf das, was man später auf der Bühne tun würde.

„Ich bin eine Art Wirkungsmechaniker“

Wurde der Text während der Probenzeit verändert?  Bei Autor-Regisseuren wie René Pollesch entwickelt sich ja noch vieles während des Spiels.

Nein, es geht hier überhaupt nicht um wilde Improvisation und Situationskomik. Der Humor entsteht aus der Skurrilität des Textes und der Eigenartigkeit der Konstellationen auf der Bühne.

Es klingt auch nach großem Vertrauen dem Regisseur gegenüber, wenn man sich als Schauspieler auf eine Inszenierung einlässt, deren Text man noch gar nicht kennt.

Dieses Vertrauen geht weit über den Text hinaus. Ich mache hin und wieder mit Lensing einen Spaziergang durch Berlin. Weil er ein sehr religiöser Mensch ist, setzen wir uns auch mal in eine Kirche. Dann erklärt er mir die Glaubensgeschichten, weil ich als Atheist aus dem Osten das Bedürfnis habe, da tiefer einzusteigen. Man begegnet sich also auch neben der Arbeit. Das ist uns allen, denke ich, sehr wichtig.

Klingt diese Religiosität auch im Stücktitel „Verrückt nach Trost“ an? Die Kirche ist ja von jeher eine zentrale Instanz, wenn es darum geht, Trost zu spenden.

Trost zu empfangen, ist eine Grundverabredung in einer hoch sozialisierten Gesellschaft. „Nicht mehr bei Trost sein“ heißt ganz einfach „verrückt werden“. Weil der Trost wegfällt, ist auf einmal eine Grundangst vorhanden. Das ist ein Gegenentwurf zu unserer gewohnten Welt.

Dann tauchen am Ende des Stücks, das im Sommer schon in Salzburg und kürzlich in Berlin aufgeführt wurde, aber so große Worte wie „die Erlösung für alle“ auf …

Ich bin eine Art Wirkungsmechaniker. Was ich tue, soll nicht erlösen, sondern etwas auslösen. Wenn die Leute mir nach der Aufführung in die Arme fallen und sagen, dass sie in so vielen Sätzen ihre Sinnsuche wiedergefunden haben, wenn Theater so allgemeingültig, so universell sein kann, dann haben wir sehr viel erreicht.

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Die Vorstellung fordert stimmlich und körperlich viel von uns

Sie haben in den letzten 23 Jahren in über 120 Film- und Fernsehproduktionen mitgespielt und sind schnelles Arbeiten gewohnt. Die Projekte eines Thorsten Lensing hingegen brauchen Zeit …

Die Stücke werden über mehrere Jahr vorbereitet und – wie bei der Oper – zwei Jahre im Voraus geplant, damit wir uns auch mit den kooperierenden Theatern verabreden können. Wir sind ja – auch wenn wir uns auf hohem Niveau bewegen – eine Off-Theatergruppe, die teilweise vom Hauptstadtkulturfonds lebt und jetzt sogar bei den Salzburger Festspielen gelandet ist. Mit „Unendlicher Spaß“ wurden wir 2019 auch zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Außerdem können wir mit den Produktionen die schönsten Theater und Orte Europas bereisen.

Erzählt das Stück eine Geschichte?

Man verfolgt zwei Geschwister, die älter werden. Am Anfang spielen sie als Kinder am Strand ihre Eltern nach, die nicht mehr leben. Charlotte will aus dem Spiel aussteigen, aber der Junge nicht, weil mit dem Ende des Spiels der Tod der Eltern endgültig ist. Dieser Anfang – wie das ganze Stück – ist aber sehr humorvoll. Die Leute sind hin- und hergerissen zwischen Ergriffenheit und unglaublicher Unterhaltung. Die Vorstellung ist lang und fordert stimmlich und körperlich viel von uns. Trotzdem sind wir danach nicht komplett fertig, sondern fliegen immer noch mit den Zuschauern, weil die so gut mitgehen.

Es gibt kein Misstrauensvotum und keine Angstsituation

Eine nicht unwesentliche Rolle im Stück spielen Tiere …

Die Zeit verlangsamt sich, weil sich ein Taucher, der gerade zusammengebrochen ist, allein durch sein Spiel in eine Schildkröte verwandelt. Und wenn André Jung als Orang-Utan auftritt, sind die Zuschauer von dessen Liebenswürdigkeit völlig entwaffnet. Er ist deren Spiegel und macht philosophisch ein riesiges Fenster auf. Wir beschäftigen uns hier mit der Grundform des Theaters. Wir bedienen die Leute nicht, sondern fordern die Fantasie. Das hat eine viel größere Nachhaltigkeit, wobei Tragik und Komödiantisches nahe beieinander liegen.

Das klingt nach kurzweiligen dreieinhalb Stunden …

Vor zwei Tagen saß Monika Grütters, unsere ehemalige Kulturstaatsministerin, im Publikum. Nach unserer Vorstellung in den Sophien­sälen hat sie gesagt: Genau so etwas brauche man in dieser Zeit. Etwas, das keine Vorwürfe macht, das Publikum nicht ausgrenzt oder mit seinen eigenen Problemen in einer Form konfrontiert, dass es in dieser Zerrissenheit nach Hause geht. Das Stück nimmt alle in den Arm und blättert trotzdem viele Schwierigkeiten und Schwächen auf.

Wie haben Sie sich Ihre Rolle erarbeitet?

Ich habe eine eigene Art, Dinge erst mal assoziativ und weit weg vom Text auszuprobieren. Mit der Zeit nähert man sich den Figuren, und alles wird immer enger, fester und klarer. Wenn du mit einem Regisseur arbeitest, der dich gleich zu Anfang kappt, kann dieser Prozess nicht mehr stattfinden. Die große Qualität unserer Arbeitsweise ist, dass wir niemals etwas falsch machen können. Es gibt kein Misstrauensvotum und keine Angstsituation. 

„Verrückt nach Trost“ auf Kampnagel, 17. bis 20 November, Donnerstag & Freitag um 19 Uhr, Samstag & Sonntag um 18 Uhr
Tickets 14 bis 28 Euro (ermäßigt ab 9 Euro)

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