Theaterkritik: Ödipus am Deutschen Schauspielhaus

Aktuell ist unter anderem Devid Striesow in „Ödipus“ am Deutsches Schauspielhaus zu sehen – ein Unterkühlter Klassiker meint unsere Kritikerin
Leben auf dem Grab: Ödipus (Devid Striesow) erkrankt an seiner eigenen Selbsterkenntnis (©Monika Rittershaus)

Am Orakel von Delphi kommt niemand vorbei, so sehr die Menschen sich auch wünschen, die Götter mögen irren. „Ödipus“ ist dafür das klassisch-altgriechische Beispiel. Seinem Vater Laios wurde geweissagt, dass sein Sohn ihn töten und daraufhin die eigene Mutter heiraten würde. Um das zu verhindern, durchstachen die Eltern die Füße des Kindes und setzten es aus – so dachten sie. Der Hirte indes, der den Auftrag ausführen soll, hat Mitleid. Und so verschlägt es den Jungen an einen fremden Königshof; von dort bricht er als erwachsener Mann auf, die Prophezeiung ungewollt zu erfüllen. Misstrauisch wird er erst, nachdem er mit seiner Mutter vier Kinder gezeugt hat und eine weitere Weissagung ihn Vatermörder nennt. Hier beginnt „Ödipus“, Teil drei der fünfteiligen Antiken-Serie „Anthropolis“, mit der Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier die aktuelle Spielzeit eröffnet.

Ihre Inszenierung fußt auf der sprachlichen Überarbeitung von Sophokles’ „König Ödipus“ durch Roland Schimmelpfennig, dem derzeit meistgespielten deutschen Dramatiker. Die so entstehenden verbalen Brüche changieren zwischen großartiger Aktualisierung und platten Pointen. Devid Striesow in der Titelrolle häuft zu Beginn einen (Grab-)Hügel an, auf dem er mit Tisch und Stuhl seinen Herrschaftssitz behauptet. Je näher Ödipus der grausamen Wahrheit auf die Spur kommt, desto schlechter kann er auf seinen Füßen gehen, am Ende braucht er Krücken – Beiers Bilder sind klar. Wie im antiken Theater, übernimmt auch im Schauspielhaus ein fantastischer, vielstimmiger Chor eine wichtige Funktion als Kommentator; im oberen Rang platziert, als kämen sie vom Olymp, erzeugen Stimmen und Trommeln unterschiedliche Atmosphäre. Am Ende bilanziert Ödipus „ich bin verflucht“ – eine Selbsterkenntnis, die wie seine Leidensgeschichte, bis hin zur eigenen Blendung, erstaunlich kalt lässt.

Deutsches Schauspielhaus, 25.11. / „Anthropolis“-Marathon: 18. November 2023 und weitere Termine.

Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 11/2023 erschienen.

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