Viva con Agua: „Die Delle ist spürbar“

Mitgründer und Vorstand Tobias Rau von Viva con Agua (Bild: Henrik Wiards)

Händewaschen als Corona-Prävention: Für uns Alltag, für viele nicht machbar. Über 579 Millionen Menschen weltweit haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Und gerade jetzt brechen „Viva con Agua“ durch das bisherige Veranstaltungsverbot hohe Spendensummen weg. Wie die Hamburger NGO umdenkt, wo sie stehen und warum sie dennoch gesegnet sind, erzählt Mitgründer und Vorstand Tobias Rau

Interview: Hedda Bültmann

 

SZENE HAMBURG: Tobias, wie sieht’s bei euch aus?

Tobias Rau: Das Büro in Hamburg läuft seit März auf Minimalbetrieb. Aber damit geht es uns den Umständen entsprechend gut, weil wir schon vor Corona über die ganze Welt verteilt im Homeoffice gearbeitet haben, war die technische Infrastruktur bereits vorhanden. Wir haben uns schon vor langer Zeit flexibel aufgestellt, um auf äußere Einflüsse maximal schnell und agil reagieren zu können. Das kommt uns jetzt zugute. Aber wir haben auch ernsthafte Probleme, einen deutlichen Einbruch merken wir zum Beispiel bei den Spenden.

Spenden in Millionenhöhe, die ihr sonst auf Festivals und Veranstaltungen generiert habt. Auf der einen Seite fehlen Gelder, auf der anderen ist es gerade jetzt wichtig, den Zugang zu Hygieneeinrichtungen und Wasser zu schaffen. Wie geht ihr damit um?

Wir sind direkt im März mit unseren Partnern in den Projekt-Ländern in den Austausch getreten und haben besprochen, welche Projekte wirklich wichtig sind und welche auf das nächste Jahr geschoben werden können. Wir haben auch geschaut, wie sich unsere Budgets umverteilen lassen. Dennoch fehlen die bereits eingeplanten Gelder spürbar. Und da grundsätzlich alle Projekte weiterlaufen, sind wir darauf angewiesen, dass Spenden reinkommen, um diese auch weiterhin zu fördern und zu finanzieren.

Wie habt ihr die Projekte priorisiert?

Jetzt noch wichtiger: sauberes Wasser (Bild: Henrik Wiards)

Natürlich haben aktuell Wasserprojekte und die Bereitstellung von Handwaschmöglichkeiten einen höheren Stellenwert als zum Beispiel Education-Training, was sonst auch ein wichtiger Teil unserer Projekte ist. Unsere regionalen Schwerpunkte liegen generell auf Südasien sowie Süd- und Ostafrika. Jetzt liegt ein besonderer Fokus auf Südafrika, da das Land sehr schlimm betroffen ist und Corona dort so richtig um sich greift, was es natürlich auch vor Ort schwieriger macht, die Projekte fortzuführen.

Wie sieht es aus vor Ort?

Südafrika ist im Lockdown. In den Townships zum Beispiel ist „Social Distancing“ nicht möglich, wenn vielköpfige Familien auf wenigen Quadratmetern leben müssen. Viele sind auch Tagelöhner, die raus müssen, um Geld zu verdienen, damit sie überhaupt was zu essen haben. Die Maßnahmen sind einfach nicht so konsequent durchsetzbar wie in Deutschland oder anderen europäischen Ländern. Die Situation wird immer dramatischer. Und es darf nicht sein, dass aufgrund eines ausgefallenen Festival-Sommers die Leute darunter leiden, die Unterstützung jetzt am nötigsten brauchen. Um so wichtiger ist es jetzt, dass wir dort unsere WASH-Projekte (WASH steht für Water, Sanitation and Hygiene, Anm. d. Red.) weiterhin finanzieren können.

Gab es bisher Alternativen, das Spendenloch aufzufangen?

Mit Stream-Formaten haben wir versucht, einen Ausgleich zu schaffen. Zum Beispiel war das digitale 36-stündige Festival „stream4water“ sehr erfolgreich, im Juli wurde die Millerntor Gallery zu einer virtuell begehbaren Ausstellung und Ende Juli haben wir die Online-Kampagne „Water is human Right“ noch Mal neu aufgesetzt. Vor zehn Jahren, am 28. Juli 2010, wurde Wasser von den Vereinten Nationen als Menschenrecht anerkannt. Die Kampagne beinhaltet drei Aspekte: eine Petition, die die Politik noch mal auffordert, das Ziel voranzutreiben. Mit „be part of the family“ rufen wir dazu auf, Fördermitglied von Viva con Agua zu werden. Und wir wollen gemeinschaftlich Spenden für unsere Projekte sammeln.

Bei euren Aktionen ist Spenden meist mit Begegnungen und ziemlich viel Spaß verbunden, auf Events wie der Millerntor Gallery, wo man unter anderem seinen Becherpfand Viva con Agua zukommen lassen kann. Momentan ist es nicht absehbar, ob und wann Veranstaltungen in dieser Form wieder machbar sind. Ist das ein Punkt, den ihr noch mal anders denken müsst?

Dieses Jahr digital: Die Millerntor Gallery

Da sind wir auf jeden Fall dran. Unsere Vision „Alle für Wasser, Wasser für alle“ beinhaltet auch Leute zu motivieren, sich mit Freude zu engagieren. In diesem Jahr ist das, für uns alle sehr unerwartet, leider ausgefallen, aber das heißt nicht, dass wir zukünftig darauf verzichten werden. Sollte auch im nächsten Jahr mit deutlichen Einschränkungen zu rechnen sein, was durchaus realistisch ist, müssen wir bis dahin Konzepte und Formate entwickeln, wie man dennoch persönlich zusammenkommen kann. Denn das analoge Leben, das uns allen so viel Spaß macht und die Freude am Engagement, der Community und dem Zusammensein, lässt sich nicht eins zu eins in den digitalen Raum übertragen.

Bis dahin brauchen wir alle vor allem eins: Geduld …

So doof das für Viva con Agua und für die Menschen ist, die in Deutschland oder Europa leben, sind wir trotzdem gesegnet mit stabilen Staaten, die Rettungsschirme spannen können, die Top-Gesundheitssysteme haben. Auf dem afrikanischen Kontinent und in vielen anderen Regionen ist es viel dramatischer, was das Gesundheitswesen und die fehlende Unterstützung vom Staat angeht. Und das war auch schon immer der Antrieb für Viva con Agua: Aus dieser Dankbarkeit heraus zu teilen.

Wirft die aktuelle Situation euch in der Entwicklung zurück?

Kampagnen-Foto mit Tobias Rau (Bild: Lars Jockumsen)

Das wird die Zeit zeigen, ich hoffe nicht. Aber diese Delle ist deutlich spürbar. Wir sind unverbesserliche Optimisten und versuchen, das Beste daraus zu machen. Im März haben wir sehr schnell beschlossen, dass alles, was wir jetzt machen, auf drei wichtige Ziele einzahlen muss: Verbesserung der digitalen Infrastruktur, Kommunikation, um in den Köpfen und Herzen der Menschen zu bleiben und Fundraising. Und hoffen, dass wir ein paar Samen auf fruchtbaren Boden werfen konnten.

Ihr habt mittlerweile verschiedene Standorte in Europa und Uganda, kürzlich ist Südafrika dazu gekommen. Wie wichtig ist Hamburg noch als Standort?

Sehr wichtig. Viva con Agua ist nicht aus Hamburg wegzudenken und die Stadt ist engst mit unserer Gründungsgeschichte verwoben. Hamburg wird auch zukünftig einen zentralen Stellenwert haben, hier ist unser Headquarter. Wir werden zwar immer mehr zur dezentralen, internationalen Organisation, aber Hamburg ist und bleibt unsere Base.

Infos und Spenden unter vivaconagua.org/spende 

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