„Wir müssen Gas geben“

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Foto: Henrik Wiards

Seit 2010 ein Menschenrecht, aber nach wie vor weltweit ungerecht verteilt: der Zugang zu sauberem Wasser. Wie die Hamburger NGO dem nachhaltig entgegenwirkt und was gesellschaftlich passieren muss, erzählt Tobias Rau, Mitgründer und Vorstandsvorsitzender von Viva con Agua

Interview: Hedda Bültmann

SZENE HAMBURG: Tobias, heute ist Weltwassertag. Das ist ja quasi euer Feiertag. Inwiefern hilft so ein Tag?

Tobias Rau: Ja, genau, der 22. März ist ein Feiertag für Viva con Agua, aber auch für alle anderen Organisationen, die sich für sauberes Trinkwasser einsetzen. Und letztendlich für alle Menschen, denn Wasser ist Leben.

Es gibt ja für viele gute Anlässe einen Tag, von daher ist es nur folgerichtig, dass es auch für Wasser einen eigenen Feiertag gibt, an dem sich die Menschen bewusst machen, dass Wasser die Grundlage allen Lebens ist und das feiern. Wir werden an diesem Tag verstärkt die Aufmerksamkeit auf unsere Vision „Alle für Wasser“ lenken und versuchen, Menschen zum Engagement zu aktivieren.

Denn nach wie vor ist der Zugang zu sauberem Trinkwasser nicht selbstverständlich.

Aktuell haben 2,2 Milliarden Menschen weltweit keinen sicheren Zugang zu Trinkwasser. Und 489 Millionen Menschen haben gar keinen Zugang zu sauberem Wasser. Sie müssen sehr weit laufen, um überhaupt an Wasser zu kommen – und das in schlechter Qualität. Sie holen sich dieses tatsächlich aus Wasserlöchern oder Seen, die häufig verunreinigt sind.

Der Mangel an sauberem Wasser führt dazu, dass jedes Jahr mehrere Hunderttausend Kinder unter fünf Jahren an Durchfallerkrankungen sterben, die durchschmutziges Wasser und verunreinigte Lebensmittelverursacht werden.

Ein Beispiel, wo ihr aktuell aktiv seid: In Äthiopien hat von den rund 100 Millionen Einwohnern nur jeder Dritte Zugang zu sauberem Wasser.

Mit Äthiopien als Land sind wir seit über 15 Jahren verbunden, also seit es Viva con Agua gibt. Wir haben dort 2006 unser erstes Projekt auf afrikanischem Boden umgesetzt. Seit 2017 sind wir mit John’s Rig, unserem mobilen Bohrgerät, in der Region Amhara unterwegs und bauen dort bis 2023 rund 200 Brunnen. So verbessern wir die Lebensbedingungen von insgesamt rund 280.000 Menschen in der Region.

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Brunnenboren mit John’s Rig in der Amhara-Region in Äthiopien (Foto: Henrik Wiards)

Was kostet so ein Brunnen?

Das kann man nicht allgemein sagen, das kommt auf die Region an. In Äthiopien kostet das Bohren eines Tiefbrunnens mit John’s Rig ungefähr 10.000 Euro.

Der Brunnenbau ist grundlegend. Aber nicht alles. Euer Wirken ist nachhaltig angelegt, mehr die Hilfe zur Selbsthilfe. Wie kann man sich das vorstellen?

Wir arbeiten in enger Abstimmung mit den lokalen NGOs in den Projektländern zusammen. In Äthiopien ist es die Organisation „Orda“ aus der Amhara-Region. Diese Hilfe zur Selbsthilfe oder das Empowerment sieht so aus, dass die Brunnen den Communitys vor Ort übergeben werden. Es werden WASH-Komitees gebildet, die sich darum kümmern, dass die Brunnen gepflegt und bei Bedarf auch repariert werden.

Der sogenannte Ownership ist dabei ein ganz wichtiger Bestandteil, im Sinne von: Dieser Brunnen gehört euch, ihr müsst ihn pflegen. Jeder Haushalt oder jede Familie zahlt für die Nutzung des Brunnens einen winzig kleinen Beitrag, von dem die Reparaturen bezahlt werden. Aber auch, um die Wertschätzung des Brunnens zu festigen. Bereits beim Bau des Brunnens binden wir die lokale Bevölkerung mit ein, denn wir müssen ein Stück weit mithelfen, dass sie sich diesem Ownership-Gedanken bewusst werden und das Gefühl dafür bekommen.

Lass uns noch mal auf den Fakt zurückkommen, dass rund sechs Prozent der Weltbevölkerung keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser hat. In der Agenda 2030, die 17 Sustainable Development Goals der UN, ist „Sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen“ das SDG 6. Wie bewertest du die Situation, so acht Jahre vor Zieleinlauf?

Es hat Fortschritte gegeben. Doch wir müssen Gas geben, das Ziel ist ganz schön sportlich. Es braucht eine kollektive Anstrengung von NGOs, Einzelpersonen, Unternehmen und auch von Regierungen.

Ich bin ein unverbesserlicher Optimist und halte es für möglich. Und wenn wir ein, zwei Jahre länger brauchen, dann ist es so. Hauptsache, wir kommen diesem Ziel näher, denn Wasser ist ein Menschenrecht und jeder Mensch sollte einen Zugang zu sauberem Wasser haben. Es ist ein Unding, dass die Grundlage des Lebens im Jahr 2022 nach wie vor so unfair verteilt ist. Natürlich werfen große globale Krisen wie Corona oder auch jetzt der Krieg in der Ukraine die Weltgemeinschaft ein Stück zurück. Aber es hilft nicht, den Kopf in den Sand zu stecken. Der Aktivismus und das Engagement für unser Anliegen muss und wird weitergehen.


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Zum 15-jährigen Bestehen hat Viva con Agua ein Buch herausgebracht mit Anekdoten aus einer irren Erfolgsgeschichte. Welche Lehren der Verein aus 15 Jahren Aktivismus gezogen hat und wie er auf ökonomische Nachhaltigkeit blickt. Mit Gastbeiträgen unter anderem von Bela B, Clueso, Bosse und Max Herre.


Wir sind also auf einem guten Weg?

Wenn ich das aus der Perspektive Viva con Agua sehe, auf jeden Fall. Wir haben in den letzten Jahren gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen bereits 3,7 Millionen Menschen über unsere Projektarbeit erreicht, das heißt zum Beispiel, den Zugang zu sauberem Wasser ermöglicht, aber auch durch Hygiene-Workshops in den Schulen vor Ort. Und wenn wir und andere Organisationen so weitermachen, dann ist das Ziel auf jeden Fall erreichbar.

Dabei ist es total wichtig, sich bewusst zu machen, dass 489 Millionen Menschen ohne Trinkwasser eine riesige Zahl ist und sehr anonym. Aber für den einzelnen Menschen macht es einen massiven Unterschied, ob ein Zugang zu sauberem Trinkwasser vorhanden ist oder nicht. Das heißt: Nach dem Motto „Leave no one behind“ ist jeder Mensch, der vorher keinen Zugang hatte und nun einen hat, ein Erfolg.

„Es ist ein kollektives Umdenken erforderlich“

Tobias Rau

Was braucht es dafür am meisten?

Die naheliegende Antwort ist natürlich: Geld. Das hilft immer. Wenn Viva con Agua mehr Fördermittel zur Verfügung hätte, könnten wir auch mehr Projekte umsetzen und damit mehr Leute erreichen. Das ist eine Ebene. Aber um das SDG 6 und auch alle anderen zu erreichen, muss man das Thema weiter aufmachen. Es ist ein kollektives Umdenken erforderlich, eine Veränderung in unserem aktuellen Handeln, Wirtschaften und Konsumieren. Und auch das ist eine riesige Aufgabe, eine Menschheitsaufgabe.

Aber ich sehe es genauso wie im Beispiel vorher: Jeder einzelne Mensch zählt. Und auch, wenn das vielleicht bei dieser Mammutaufgabe wie ein Tropfen auf den heißen Stein wirkt, glaube ich, dass jeder Einzelne mit seinem Handeln und Denken seinen Beitrag leisten kann.

Stichwort Bereitschaft. Werdet ihr als NGO auch staatlich unterstützt?

Nein, als Nichtregierungsorganisation werden wir nicht staatlich unterstützt. Es gibt einzelne Projekte vor Ort, für die wir Fördergelder vom Auswärtigen Amt bekommen oder von der GIZ. Aber hauptsächlich ist Viva con Agua über Spenden und Mitgliedsbeiträge finanziert. Die Fördermitglieder, die monatlich unsere Projekte und Arbeit unterstützen, sind eine sehr wichtige Basis für uns. Das geht schon mit fünf Euro im Monat. Das ist eine stabile Community, die uns unabhängiger macht von Spenden-Schwankungen und von Ereignissen, die in dieser Welt nun mal passieren, und auf die wir keinen Einfluss haben.

Einen nicht lenkbaren Spenden-Einbruch hat die Pandemie verursacht. Zwei Jahre ohne Festivals und Konzerte bedeutete für Viva con Agua zwei Jahre ohne Pfandbecherspenden in Millionenhöhe. Wo steht ihr jetzt?

Die letzten zwei Jahre waren nicht einfach. Wahrscheinlich für niemanden, und auch nicht für Viva con Agua. Vieles von dem, was wir vor der Pandemie gemacht haben, war nicht mehr möglich und haben wir schmerzlich vermisst. Wir haben es aber geschafft durch digitale Formate und Alternativen, die Gelder, die weggefallen sind, auszugleichen. Wir waren aber auch super sparsam.

Jetzt sind wir an dem Punkt, an dem wir beschlossen haben, die Online-Formate, die wir aufgebaut haben, weiterzuführen und dazu kommen – hoffentlich – in diesem Jahr die analogen Events, die Festivals, die Millerntor Gallery, die Netzwerktreffen, alles, was ausfallen musste. Wir planen und gehen davon aus, dass das Jahr erfolgreich wird und wir viele Auslandsprojekte unterstützen können.

Bei der Millerntor Gallery wird Kunst zu Trinkwasser. (Foto: Stefan Groenveld)

Du hast gerade die Millerntor Gallery erwähnt, die auch in der Stadt schmerzlich vermisst wurde. Findet sie diesen Sommer wieder statt?

Auf jeden Fall. Das Kunst- und Kulturfestival im Stadion des FC St. Pauli wird vom 23. bis 26. Juni stattfinden. Es wird die 10. Millerntor Gallery und diese wird noch schöner und bunter werden als zuvor. Und auch größer, denn wir werden zum ersten Mal die dritte Tribüne als Ausstellungsfläche zusätzlich nutzen.

Der Verein hatte im letzten Jahr seinen 15. Geburtstag. Kannst du die vergangene Zeit in Kürze zusammenfassen?

Es war eine wilde Zeit, bunt, schön und anstrengend, aber auch wirklich erfolgreich. Wie gesagt, seit dem Bestehen von Viva con Agua haben wir 3,7 Millionen Menschen den Zugang zu sauberem Trinkwasser weltweit ermöglicht. Das ist ein Riesenerfolg. Tausende Ehrenamtliche, Künstlerinnen, Unterstützer und Companys haben sich dieser Mission und Vision angeschlossen. Eine Schnapsidee, die in einer Wohngemeinschaft entstanden ist, ausgehend von ein paar Leuten, alles Ehrenamtliche, bis hin zu jetzt über 30 Festangestellten allein beim deutschen Verein – das ist auf jeden Fall schön zu sehen.

Aber wie vorher schon gesagt, gibt es immer noch viel zu tun. Und deswegen werden wir auch die nächsten 15 Jahre weiterhin versuchen, mit guter Laune ein so ernstes Thema zu bearbeiten, Sensibilität dafür zu schaffen und freudvoll die Welt ein Stück weit besser zu machen.

www.vivaconagua.org/mitgliedschaft


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