Wie queerfreundlich ist Hamburg?

Vom 27. Juli bis 4. August 2024 ist in Hamburg wieder Pride Week. Dann feiert die LGBTQIA+-Community sich selbst und demonstriert für Gleichstellung und Akzeptanz. Doch wie queerfreundlich ist Hamburg eigentlich? Wir haben Thomas Thomsen (CDU) und Farid Müller (Bündnis 90/Die Grünen) zum Gespräch gebeten
Zwei Politiker diskutieren die Frage: Wie queerfreundlich ist Hamburg?
Thomas Thomsen (CDU) (l.) und Farid Müller (Bündnis 90/Die Grünen) (r.) im Streitgespräch zur Frage: „Wie queerfreundlich ist Hamburg?“ (©Felix Willeke)

Herr Thomsen, Herr Müller, wie queerfreundlich ist Hamburg auf einer Skala von 1 bis 10?

Thomas Thomsen ist langjähriger Bezirkspolitiker für die CDU im Bezirk Eimsbüttel. Gleichzeitig ist er seit 2019 auch Landesvorsitzender der Lesben und Schwulen in der Union Hamburg (LSU).

Thomas Thomsen: Hamburg ist eine sehr liberale Großstadt. Das wird ein bisschen getrübt, weil sich auch in der Hansestadt die Stimmung verändert hat und manch queere Pärchen sich nicht mehr trauen, händchenhaltend durch die Straßen zu gehen. Ich bin aber trotzdem Optimist und würde sagen, dass wir in Hamburg bei einer 8 von 10 sind.

Farid Müller ist Bürgerschaftsabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen, die auch mit Katharina Fegebank die Senatorin für Gleichstellung stellen. Er ist queer- und medienpolitischer Sprecher, Wahlkreisabgeordneter in Hamburg-Mitte sowie Obmann im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Cum-Ex.

Farid Müller: Es gibt mehr Akzeptanz in der gesellschaftlichen Mitte und das Bedürfnis, sich offen in der Gesellschaft zu zeigen, ist größer geworden. Allein 2023 hatten wir bei der Pride-Demo in Hamburg 250.000 Teilnehmende. Trotzdem sind wir in einer schizophrenen Situation. Denn trotz der größeren Akzeptanz wird gleichzeitig die Stimmung der Gegner zunehmend aggressiver, online wie auf der Straße. Deswegen liegen wir in Hamburg aktuell nur bei einer 7 von 10.

Thomsen: Ich verstehe die angesprochene Schizophrenie. Doch woher kommt die? Aktuell haben die Menschen dringende Alltagsprobleme wie Inflation, Wohnungssuche und vieles mehr. Dann findet Vielfalt in jeder Fernsehserie statt und ist fast omnipräsent. Das empfinden die Menschen und auch ich langsam als übertrieben. Und wenn sich die Politik über gendergerechte Sprache streitet, haben die Menschen das Gefühl, dass wir uns nicht mit den für sie relevanten Problemen auseinandersetzen.

Müller: Ich finde das ein bisschen kurz gedacht.

Thomsen: Warum?

Müller: Weil wir eine andere Gesellschaft haben als früher. Wir sind vielfältiger, in allen Ausprägungen. Und Vielfalt ist nun mal anstrengend und kein gesellschaftliches Randphänomen mehr. Deswegen müssen wir mit den Menschen in Dialog kommen und diesen Dialog müssen wir als Politik organisieren.

Thomsen: Das tun wir ja auch.

Vielfalt ist nun mal anstrengend 

Farid Müller (Bündnis 90/Die Grünen)

Populismus als Gefahr und die Genderinitiative

Zwei Politiker diskutieren die Frage: Wie queerfreundlich ist Hamburg?
„Ich halte die Unterstützung für die Genderinitiative für einen Fehler“, sagt Thomas Thomsen (CDU) im Gespräch mit Farid Müller (Bündnis 90/Die Grünen) (©Erik Brandt-Höge)

Neben dem, dass die CDU die Initiative zum Genderverbot in Hamburg unterstützt, hat die Partei im Bund das Selbstbestimmungsgesetz fast geschlossen abgelehnt. Verstärkt das nicht die schizophrene Situation?

Thomsen: Ich halte die Unterstützung für die Genderinitiative („Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung“, Anm. d. Red.) für einen Fehler. Beim Selbstbestimmungsgesetz ging es im Bund darum, dass die CDU nicht wollte, dass man die Geschlechtsidentität jedes Jahr wieder ändern kann.

Müller: Das ist doch aber eine Nebelkerze. Im Gesetz war der zentrale Punkt, dass es für die Änderung des Geschlechts kein psychiatrisches Gutachten mehr braucht. Dann aufzumachen, dass Menschen sagen: „Morgen bin ich eine Frau, übermorgen ein Mann“, ist doch absurd. Genau auf solche Aussagen springen in Berlin Leute auf. Das ist gefährlich und davon profitiert nicht die CDU, sondern nur die AfD.

Thomsen: Das sehe ich genauso und deswegen habe ich in Hamburg vehement gegen Personen argumentiert, die genau dies versuchen. Ich bin heilfroh, dass wir jetzt einen neuen Landesvorsitzenden haben, der das anders sieht als sein Vorgänger.

Eine Verzagtheit nützt nur der extremen Rechten

Farid Müller (Bündnis 90/Die Grünen)

Bei der Pride-Demo wird einmal im Jahr für die Vielfalt demonstriert. Doch die Organisatoren von Hamburg Pride e. V. „erwarten von allen Unternehmen, Parteien, Vereinen und sonstigen Einrichtungen, die am CSD teilnehmen, dass sie sich auch an den anderen 364 Tagen im Jahr für die LGBTQIA+-Community einsetzen“. Wie gelingt das den politischen Parteien?

Thomsen: Es hat mich gestört, dass die CDU lange nicht für queere Themen stand. Als LSU ist es unser Anspruch zu sagen: „Wir kümmern uns um alle Personen der LGBTQIA+-Community.“ Dass wir das nicht genug tun, das kann man uns vorwerfen.

Müller: Das ist auch nicht euer Markenkern (lächelt).

Thomsen: Wir tragen als LSU die Themen 365 Tage im Jahr in die Partei. Und in Hamburg betont Herr Thering als Landesvorsitzender auch immer wieder, wie wichtig ihm diese Anliegen sind.

Müller: Das ist schon mal gut. Doch wenn ihr jemals wieder in Hamburg Regierungsverantwortung übernehmen wollt, müsst ihr noch mehr begreifen, dass sich die Stadt verändert hat und vielfältiger geworden ist.

Perspektiven für die nächste Bürgerschaftswahl

Sind Sie denn mit der Arbeit der Behörde für Gleichstellung in Hamburg, denen Frau Fegebank von den Grünen vorsteht, zufrieden?

Thomsen: Es gibt immer einen Unterschied zwischen Anspruch des Kampfes für Vielfalt und der Realität.

Sie deuten an, man könnte mehr tun und 2025 ist Bürgerschaftswahl. Wenn Sie danach in Verantwortung kämen, was würden Sie anders machen?

Thomsen: Soziale Projekte sind oft nicht langfristig genug angelegt. Das müssen gar nicht speziell Projekte für die LGBTQIA+-Community sein. Denn wenn man Projekte auch über eine Legislatur hinausdenkt, könnte man die Belange der Community automatisch mitdenken. Damit gäbe es weniger den starken Fokus, an dem sich einige stören, und die Akzeptanz der Community würde vorankommen. Darauf können sich wahrscheinlich alle demokratischen Partien einigen.

Müller: Die spannende Frage ist doch aber: Welche Anliegen des LSU schaffen es in das Wahlprogramm der CDU?

Thomsen: Wir haben uns schon gewundert, dass wir es überhaupt geschafft haben, ins Bundesprogramm Dinge reinzubekommen (lächelt).

Müller: Bei drei Themen kann ich mir vorstellen, dass die CDU mitgehen würde: Wir brauchen in Hamburg beispielsweise ein Beratungszentrum für Regenbogenfamilien. Dazu müssen wir uns um die älter werdenden Babyboomer aus der Community kümmern, also Seniorenwohnanlagen für die queeren Menschen schaffen und öffnen. Als dritten Punkt müssen wir in Hamburg bei der Gewalt gegen LGBTQIA+-Personen mehr tun. Da müssen wir in den Polizeikommissariaten noch weiter sensibilisieren, damit Taten noch besser erkannt werden.

Dinge zu erkämpfen ist schwer

Thomas Thomsen (CDU)

Wären Sie da mit im Boot?

Thomsen: Besonders bei dem Thema der queeren Menschen im Alter sehe ich auch Handlungsbedarf. Auch beim Thema Familie würde ich kaum Widerstände erwarten und beim Thema Gewalt sind wir alle gut beraten, alles zu tun, um dagegen zu halten.

Wie wahrscheinlich ist es, dass Hamburg in der nächsten Wahlperiode von Ihrer Einschätzung zu Beginn auf 10 von 10 Punkten bei der Queerfreundlichkeit kommt?

Thomsen: Dinge zu erkämpfen ist schwer und ein Niveau zu halten ist noch schwieriger. Ich wäre daher heilfroh, wenn wir 7 oder 8 von 10 Punkten halten können und es schaffen nicht zurückzufallen.

Müller: Man hat bei den Bezirkswahlen und bei den Demos zum Jahresanfang gesehen, dass Hamburg nicht gewillt ist, der extremen Rechten viel Raum zu geben. Wir als Stadtstaat müssen auf 10 Punkte kommen. Denn als eine Stadt der Vielfalt müssen wir unser Leben gemeinsam organisieren. Wenn wir dabei als Politik sagen, dass wir es nicht schaffen, gibt es eine Verzagtheit, die nur der extremen Rechten nützt. Deswegen glaube ich, dass wir das mit den 10 von 10 Punkten hinbekommen.

Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 08/2024 erschienen.

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