In Hamburg steht seit 1906 Deutschlands größtes Bismarck-Denkmal. Die 34 Meter hohe steinernen Statue auf dem Plateau im Alten Elbpark zeigt Otto von Bismarck, den ersten Reichskanzler des Deutschen Reiches, in Rüstung und mit Schwert und mit starrem Blick gen Südwesten. Eine Heldendarstellung. Doch schon seit Jahren mehren sich die kritischen Stimmen, die hinterfragen, ob diese Darstellung Bismarcks mit Hinblick auf sein politisches Wirken und seine Rolle in der deutschen Kolonialgeschichte angemessen ist. Innenpolitisch ist Bismarck vor allem für das Einführen von gesetzlichen Sozialversicherungen in Deutschland bekannt.
Das sagt auch Jürgen Zimmerer, Professor für Globalgeschichte an der Universität Hamburg. Er leitet die Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ und weist darauf hin, dass wir „im öffentlichen Diskurs eigentlich immer nur an den heroischen Bismarck erinnern. Das ist eine Geschichtsklitterung, die damals schon beabsichtigt war.“ Von einer solchen „recht freundlichen Geschichtsschreibung“ spricht auch Hamburgs Kultursenator Dr. Carsten Brosda in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung vom 7. Februar 2023.
Bismarck gilt heute auch als eine der entscheidenden Figuren in der Deutschen Kolonialgeschichte. Mit seiner Beteiligung an der Berliner Afrika-Konferenz von 1884, bei der europäische Nationen Gebietsansprüche auf Afrika verteilten, war er maßgeblich verantwortlich für Ausbeutung und Unterdrückung der Länder und Menschen auf dem afrikanischen Kontinent. Kolonialverbrechen, die bis heute wirken. „Wir erinnern überhaupt nicht an diesen hochproblematischen Bismarck. Er taugt eigentlich nicht mehr als Identifikationsfigur“, sagt Jürgen Zimmerer. Deswegen fordert er, das Bismarck-Denkmal „radikal zu entheroisieren“.
Stand heute
Das Denkmal wird seit Anfang 2020 für über neun Millionen Euro saniert. Eine Instandhaltung, die von Beginn an von Protesten begleitet wurde. „Ich hätte es begrüßt, wenn man den Bismarck gar nicht erst wiederhergestellt hätte, denn das ist ein Eingriff in die Geschichte. Durch die Sanierung wird ohne großartige politische Diskussion ein eingefrorenes, Geschichtsbild aus kaiserlichen Zeiten zementiert“, sagt Jürgen Zimmerer.
Parallel zur Sanierung läuft seit Anfang 2023 auch ein internationaler Ideenwettbewerb im Rahmen des Projekts „Hamburg dekolonisieren!“ der Stiftung Historischer Museen Hamburg und der Behörde für Kultur und Medien. Das Ziel des Wettbewerbs ist es, eine sichtbare „künstlerische Intervention, die zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Denkmal dient, anzuregen“. Für eine solche Intervention gibt es allerdings eine große Hürde: den Denkmalschutz. Seit 1960 gilt das Denkmal als historisch relevantes Bauwerk und daher darf „man de facto an dem Bismarck nichts ändern“, sagt Jürgen Zimmerer.
Zu enge Grenzen?
Somit hat auch der Wettbewerb nur begrenzte Möglichkeiten, sein Ziel zu erreichen. „Dass der Denkmalschutz die Grenzen der Dekolonialisierung eines Denkmals setzt, ist absurd“, meint Jürgen Zimmerer. „Wir müssen grundsätzlich über Denkmalschutz und Dekolonialisierung sprechen, uns dann einigen und dann in die Wettbewerbe gehen, nicht anders herum“, kritisiert er das aktuelle Vorgehen. Auch vor Beginn des Wettbewerbs gab es schon Ideen, sich kritisch mit der Figur Bismarck auseinanderzusetzen. So zum Beispiel den Vorschlag für ein Gegendenkmal im Tal des Alten Elbparks. Ein solches müsste jedoch rund 100 Meter hoch werden, um wie das Original-Denkmal zu wirken, und scheint daher unrealistisch.
Mit Blick auf die Hürden in Sachen Denkmalschutz und den engen Wettbewerbsrahmen stellt sich abschließend die Frage, wie viel Gestaltungsfreiheit es für eine Aufarbeitung und kritische Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte am Beispiel des Bismarck-Denkmals braucht. „Wenn der Prozess erst gemeint ist, müsste es eine Option sein, das Denkmal ganz wegzunehmen. Oder wir halbieren es, nehmen den Kopf ab, wir verändern die Staue. Das müssten alles auch Optionen sein“, sagt Jürgen Zimmerer.
Diese Optionen werden auch vor dem Hintergrund des Denkmalschutzes nicht diskutiert und das berge laut Zimmerer die Gefahr, dass die Debatte zu einer „Aufarbeitungssimulation, einer Dekolonialisierungssimulation verkommt.“ Kultursenator Carsten Brosda hingegen stellt sich in seinem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung gegen eine Entfernung des Denkmals, da die Gegenwart des Denkmals dazu anregen würde, aus den Fehlern von damals für die Zukunft zu lernen. Das sei nur möglich, „wenn die Zeugnisse der Vergangenheit uns unsere Verantwortung vor Augen führen.“