Filmkritik: Das Verschwinden des Josef Mengele

Radikal-emotionales Psychogramm eines NS-Verbrechers
August Diehl brilliert als KZ-Arzt Josef Mengele
August Diehl brilliert als KZ-Arzt Josef Mengele (©Lupa Film)

Buenos Aires, 1956. Unter dem Namen Gregor lebt Josef Mengele (überragend: August Diehl), der ehemalige KZ-Arzt von Auschwitz, unbehelligt im Exil. Ein Netzwerk von Sympathisanten und seine wohlhabende Fabrikantenfamilie schützen ihn. Nie musste er, der „Todesengel“, sich für die unzähligen grauenvollen Menschenexperimente vor einem Gericht verantworten. Doch seine Angst vor Justiz oder Rache verfolgt ihn überall hin: Argentinien, Paraguay und zuletzt Brasilien. Er wechselt erfolgreich die Identitäten, die Angst aber bleibt; wächst, beherrscht ihn wie sein mörderischer Hass auf alles Fremde. Ständig drehen sich seine paranoiden Gedankengebilde um NS-Ideologie und Herrenrasse.

Die groteske Welt des Josef Mengele 

Das Cover des Films „Das Verschwinden von Josef Mengele“ von Kirill Serebrennikov (©Lupa Film) 

In selbstmitleidigen jämmerlichen Tiraden ergießt sich sein Zorn über eine Welt, die sein Handeln nicht begreifen will. Der russische Regisseur und Systemkritiker Kirill Serebrennikov („Leto“) katapultiert uns in den Kopf seines Protagonisten. Das Geschehen wird aus rein subjektiver Sicht erzählt: realistisch, grotesk, überhöht, gegen Ende fast surreal. Zwangsvorstellungen wechseln mit Aggressionen. Der soziale Abstieg beginnt. Die Banalität des Bösen inszeniert Serebrennikov ästhetisch provokant als Neo-Noir in berückenden Schwarz-Weiß-Bildern mit starken Lichtkontrasten, die Rückblenden vom Konzentrationslager dagegen in verstörend lieblichen Farben: Für Mengele verkörpert Auschwitz die glücklichste Zeit seines Lebens. Seine Erinnerung daran ist die eigentliche Gegenwart, das Jetzt und Hier nur ein täglich unerträglicher Albtraum. Der fast ohrenbetäubende Mix aus Wagner-Arien und nicht enden wollenden schrillem Hundegebell intensiviert das Klaustrophobische seiner Existenz.

„Das Verschwinden des Josef Mengele“ basiert auf dem gleichnamigen Tatsachenroman von Oliver Guez. Die Schwäche des französischen Bestsellers: seine markig simplifizierenden Metaphern. Dem Film dagegen gelingt es durch seine formale Strenge, Analyse und Atmosphäre miteinander zu verbinden. Regierungen und Zeitgeist wechseln, die NS-Ideologie lebt weiter. Mengeles Sohn kommt zu Besuch, will wissen, was wirklich geschah in Auschwitz. Der stark gealterte Vater bleibt ihm die Antwort schuldig. Serebrennikov im Gegensatz zu Jonathan Glaser, dem Regisseur von „The Zone of Interest“, zeigt auch den Schrecken des Konzentrationslagers und seiner Schergen.

Hier gibt’s den Trailer zum Film:

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Diese Kritik ist zuerst in SZENE HAMBURG 10/25 erschienen. 

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