Feuer und Flamme für inklusives Rollstuhlfechten

Etwa 30 Rollstuhlfechter gibt es aktuell in Deutschland, ein Besuch bei einer der inklusivsten Sportarten in Hamburg
Rollstuhlfechten
Inklusives Rollstuhlfechten in Hamburg (©Witters GmbH)

Andrea Prange (61) führt ihren Degen über den ausgestreckten Degen von Aziz Ben Smida (30). Sie trifft ihren Trainer leicht oberhalb der Hüfte. „Touché, mach’ genau so weiter“, lobt Smida. Prange verfeinert ihre Lektion: Nun weiß sie, in welchem Winkel ein guter Konter funktionieren kann. Die Besonderheit: Prange sitzt, Smida steht. Denn Prange ist eine von vier Rollstuhlfechterinnen, die jeden Freitag von 18.30 bis 21 Uhr am Horner Weg 89 fleißig trainieren. Das Inklusive Rollstuhlfechten ist ein Angebot des Hamburger Fecht-Verbands. Anmelden kann man sich für den Kurs beim Hamburger Fecht-Club. Bereits seit 1964 ist die Sportart paralympisch, seit etwas über zwei Jahren hat sie es auch bis nach Hamburg geschafft.

„Ich liebe den Klang der Degen und die Geräusche des Säbels. Einfach wunderbar“, sagt Prange. 2006 bekam sie eine Diagnose, die ihr Leben änderte: Multiple Sklerose. „Die Ärzte sagten, ich würde in spätestens fünf Jahren im Rollstuhl sitzen.“ Bis 2022 konnte die sportlich aktive Frau diese Vorhersage jedoch widerlegen. Seit knapp zwei Jahren benötigt sie nun einen Gehwagen. Als Prange vom Inklusiven Rollstuhlfechten hörte, war sie sofort Feuer und Flamme. Früher ist sie geritten, Motorrad gefahren, hat Gymnasitik getrieben. Nun wippt sie beim Training dynamisch mit dem Oberkörper hin und her, den Degen in der Hand, in einem auf dem Boden festgeschnallten Rollstuhl – und kommt ganz schön ins Schwitzen. „Die Sportart ist sehr anstrengend, aber sie macht mir auch unheimlich Spaß“, sagt Prange. Noch in diesem Jahr will sie die Turnierreifeprüfung ablegen, um Turniere zu fechten.

Ich kämpfe nicht mit den Gegnern, sondern mit mir selbst

Stefanie Hauke

Rollstuhlfechten: Dieser Sport gibt Selbstbewusstsein

Genau wie Stefanie Hauke (51). Bei ihr wurde 2016 ein bösartiger Knochentumor im rechten Oberschenkel festgestellt. 2018 verlor sie nach zwei Jahren im Krankenhaus den Kampf um ihr rechtes Bein. Es musste amputiert werden. Dazu kommt die Belastung durch die Chemotherapie. Hauke leidet unter Knochenkrebs. „Der geht nicht weg, der bleibt immer. Er ist leider in meiner DNA“, sagt sie und streichelt ihren zehnjährigen Dackel-Schäferhund Charly, der beim Training interessiert zuguckt und sich überall seine Streicheleinheiten abholt. Hauke kommt extra aus ihrem Wohnort Bremen mit der Bahn zum Inklusiven Rollstuhlfechten nach Hamburg. In Bremen wollte sie zunächst Rollstuhltanz ausprobieren, war aber die einzige Teilnehmerin. Sie verzagte nicht, suchte weiter nach einer guten Gemeinschaft mit anderen Menschen, fand sie in Hamburg. Im Fechten bevorzugt sie Degen und Florett. Während Hauke über ihr Leben und das Rollstuhlfechten spricht, sagt sie drei große Sätze: „Ich kämpfe nicht mit den Gegnern, sondern mit mir selbst. Mir macht diese Sportart nicht nur Spaß. Sie gibt mir Selbstbewusstsein.“

Rollstuhlfechterin Möller: Ständig in Action

Ihren Trainer Smida lobt sie in höchsten Tönen. „Ich liebe diesen Kerl. Du kannst es zwölfmal falsch machen, er erklärt dir jeden Stoß immer wieder ganz ruhig. Er ist immer freundlich und hat immer Lösungsvorschläge, um den Gegner schachmatt zu setzen.“ Der studierte Sportpädagoge Smida war einst tunesischer Nationalfechter, holte viele Titel. 2019 kam er nach Deutschland. Sein Deutsch ist exzellent, als Fechttrainer ist er vielseitig aktiv. Mit Inklusivem Rollstuhlfechten kam er in Deutschland zum ersten Mal in Kontakt. Taktik und Technik sind identisch, Smidas Lektionen für seine Rollstuhlfechterinnen kann er also eins zu eins vom Fußfechten übernehmen. „Rollstuhlfechten und Fußfechten unterscheiden sich in den Regeln kaum voneinander. Die Sportart ist auch deshalb so inklusiv, weil sich unsere Fußfechter hier im Kurs einfach in den Rollstuhl setzen und gegen unsere Rollstuhlfechterinnen losfechten können. Und bei allen Kursteilnehmern ist eine Entwicklung spürbar“, sagt er. Zuvor hat Smida fachkundig einmal demonstriert, wie der Rollstuhl sicher am Boden fixiert wird, damit niemandem etwas passiert.

Degen ist volle Attacke, Säbel ist wie Zorro

Daniela Möller

Während Prange und Hauke noch ihre Turnierreifeprüfungen ablegen wollen, bestreitet Daniela Möller (46) schon Wettkämpfe. Etwa 30 Rollstuhlfechter gibt es aktuell in Deutschland. Möller holte sogar schon die Deutsche Vizemeisterschaft im Rollstuhlfechten. Auf ihrem Rollstuhl steht „Düsewind“, weil sie ständig in Action ist. Zwar hat auch Möller Multiple Sklerose, das hält sie aber nicht von ihren Abenteuern ab. „Ich bin Daniela Düsewind, weil ich immer rumdüse“, sagt sie lachend. Sie hat in Portugal Surfen für Rollstuhlfahrer gelernt, war in Ägypten Kitesurfen, ist aus 4000 Meter Höhe mit einem Tandemfallschirm gesprungen. Ihr Lieblingsbegriff: „mehr Schwung“.

Sie verwendet ihn bestimmt ein Dutzend Mal. In alles muss „mehr Schwung“ rein, mehr Lebendigkeit. Im Februar 2022 absolvierte sie ihre Reifeprüfung und erhielt ihren Fechtpass. Begonnen hatte Möller das Rollstuhfechten im Paralympischen Zentrum in München, als es in Hamburg noch keine Möglichkeit dazu gab. Noch heute ist sie Mitglied im Fechtclub München.

Mehr Öffentlichkeit für inklusives Rollstuhlfechten

Im Mai 2022 holte sie in Böblingen den zweiten Platz bei den deutschen Meisterschaften. Ob sie lange überlegt hat, sich so kurz nach ihrem Start gleich mit den Besten zu messen? „Eigentlich nicht“, sagt Möller. „Ich hatte doch so viel Schwung in mir, der musste einfach raus. Es war toll, als No-Name dort so erfolgreich zu sein.“ Im vergangenen Jahr wurde sie bei den deutschen Meisterschaften Fünfte in Esslingen.

Ihr Ehrgeiz ist ungebrochen. Gerne würde sie auch international Wettkämpfe bestreiten. Die Paralympics in diesem Jahr in Paris kommen für sie aber noch zu früh. „Für die Qualifikation muss man vorher auf internationalen Turnieren Punkte gesammelt haben“, erklärt Möller. Ihre Lieblingswaffen Degen und Säbel beschreibt sie sehr anschaulich: „Degen ist volle Attacke, Säbel ist eher wie Zorro“, so Möller.

Ich liebe den Klang der Degen und die Geräusche des Säbels

Andrea Prange

Ihr größter Wunsch? Viel mehr breite Öffentlichkeit für das Inklusive Rollstuhlfechten. „Ich wünsche mir, dass über uns noch viel mehr berichtet wird, sich noch viel mehr Menschen für das Rollstuhlfechten begeistern können. Und die Turniere sollten so inklusiv wie möglich sein, damit wir so oft wie möglich alle gemeinsam fechten können: Fußfechter und Rollstuhlfechter.“ Sie macht eine kurze Pause. „Hamburg hat schon Schwung“, sagt Möller. „Aber da geht noch mehr.“ 

Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 04/2024 erschienen.

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