„Man muss das Gras wachsen hören“

Kathrin Kohlstedde ist seit mehr als 20 Jahren für das Programm beim Filmfest Hamburg verantwortlich. Im Interview erzählt sie, wie magische Momente entstehen und warum Kinos nach der Pandemie eine Renaissance erleben werden
Das Filmfest Hamburg setzt auf Nachhaltigkeit in einem schnelllebigen Geschäft (Foto: unsplash/Denise Jans)
Das Filmfest Hamburg setzt auf Nachhaltigkeit in einem schnelllebigen Geschäft (Foto: unsplash/Denise Jans)

SZENE HAMBURG: Frau Kohlstedde, seit 1999 sind Sie Programmleiterin beim Filmfest Hamburg. Ein Traumjob?

Kathrin Kohlstedde: Als ich während meines Studiums in einem Kino jobbte, hatte ich das große Glück, zum ersten Mal auf ein Filmfestival reisen zu dürfen. Das war das Max Ophüls Festival in Saarbrücken. Dort habe ich den Zauber und die Kraft kennengelernt, die von Filmfestivals ausgeht und die mich seit jeher motiviert und begeistert.

Was macht das Filmfest Hamburg zu einem besonderen Festival?

Das Publikum sieht Filme, die es sonst selten im Kino sieht und trifft auch noch auf die Filmschaffenden. Filme werfen Fragen auf und Themen provozieren. Wir suchen im Gespräch danach im Foyer oder in der Bar nach Antworten. Das macht das Filmerlebnis so nahbar, fordert und formt die eigene Offenheit für Neues und macht das Leben eines jeden ein Stück reicher. Diese Magic Moments versuchen wir beim Filmfest Hamburg zu schaffen, und gemeinsam mit unseren internationalen Gästen und einem großartigen, neugierigen Publikum gelingt uns das glaube ich auch seit einigen Jahren sehr gut.

Nachhaltigkeit gegen Schnelllebigkeit

Seit mehr als 20 Jahren für das Programm beim Filmfest Hamburg Verantwortlich: Kathrin Kohlstedde (Foto: Kathrin Kohlstedde)
Seit mehr als 20 Jahren für das Programm beim Filmfest Hamburg Verantwortlich: Kathrin Kohlstedde (Foto: Kathrin Kohlstedde)

Die Branche ist schnelllebig. Es geht oft darum, auf den letzten Drücker produzierte Streifen noch ins Programm zu bekommen. Was ist Ihr Geheimnis, tatsächlich die neuesten Filme in Hamburg an den Start zu bekommen?

Der Schnelllebigkeit setzten wir nachhaltige Beziehungen entgegen. Über das Jahr hinweg pflegen wir ein Netzwerk zu Filmschaffenden und Lizenzgebern, denen wir Respekt schenken und sie wertschätzen. Sie wissen, dass das ehrlich gemeint ist und so geben sie auch gern die Filme nach Hamburg. Als Programmer:in muss man aufmerksam sein, das Gras wachsen hören und furchtlos sein. So kommen die aufregenden neuen Film ins Programm. Der Charme von Hamburg tut sein Übriges, dass alle gerne mit ihren Filmen kommen.

Corona hat die Kinobranche stark getroffen. Glauben Sie, dass klassische Filmtheater nach der Pandemie eine Renaissance erleben werden?

Absolut. Ich glaube, diese immer noch andauernde Ausnahmezeit hat den Wunsch nach Fokussierung verstärkt, nach nachhaltigen Erlebnissen in guter Gemeinschaft. Das bietet das Kino, wenn es gut geführt ist, aufs Beste.

In Hamburg wird der Douglas Sirk Preis vergeben. Das beschert unserer Stadt prominente Besucher wie Tilda Swinton, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert, François Ozon, Kim Ki-Duk oder Julian Schnabel. Welche dieser Begegnungen hat bei Ihnen den tiefsten Eindruck hinterlassen?

Es ist für uns und unser Publikum immer eine große Ehre, wenn die Preisträger:innen nach Hamburg kommen. Alle Verleihungen waren besonders, viele unvergesslich. Ich persönlich finde die Begegnung mit Regisseur:innen spannend. Da hab ich das Gefühl, dass sie uns mit den Filmen viel mehr Einblick in ihre Seele geben, schließlich dürfen wir die Welt für einen Moment durch ihre Augen sehen.

„Der Film ist eine Wucht“

Hamburg in allen Ehren, aber es gibt auch andere Festivals, die das Kino feiern. Welches schätzen Sie besonders?

Cannes, das ist wie Weihnachten und Ostern und Geburtstag zusammen. Es ist das unumstritten wichtigste Festival, das im Mai die Filme zeigt, die die Maßstäbe für das Kinojahr setzen. Dort ist die gesamte Filmbranche versammelt und Frankreich schätzt und feiert das Kino wie kaum ein anderes Land. Das ist für uns der Moment, die besten Filme nach Hamburg zu bringen und zu wissen, was das Filmjahr noch so bringen wird.

Was war der letzte richtig gute Film, den Sie gesehen haben?

Gerade vor zwei Tagen war das: „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ von Dominik Graf. Der Film ist eine Wucht. In drei Stunden zeigt er uns all das, was Kino kann und warum Film so einzigartig ist. Ganz große Empfehlung.


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