Mit der Titelrolle in dem dystopischen Beziehungsdrama „Die Laborantin“ der britischen Jungdramatikerin Ella Road gibt die 28-jährige Lilli Fichtner ihr Theaterdebüt
Interview: Sören Ingwersen
SZENE HAMBURG: Lilli, wie hast du die zwei Corona-Jahre erlebt?
Lilli Fichtner: Als Corona anfing, befand ich mich noch in der letzten Phase meines Studiums, in der man sich auf das Abschlussvorspiel vorbereitet. Wir haben unser Vorspiel für die Caster und Intendanten dann virtuell gemacht, was etwas ins Leere zielte. Ich hatte aber das Glück, dass ich vom Film kam und dieser Bereich schnell wieder weiterlief.
Und wie ist die Stimmung aktuell am Theater?
Weil Bea in „Die Laborantin“ meine erste Theaterrolle nach meinen Studium ist, ist für mich alles neu. Ich kenne keine Theaterabläufe ohne Corona. Dadurch vermisse ich nichts und habe auch keine Erwartungshaltung. Trotzdem merke ich, dass es überall kleine Brände gibt, die man zu löschen versucht.
Dein Theaterdebüt begehst du gleich mit einer Hauptrolle …
Das ist eine Herausforderung und gleichzeitig ein Geschenk.
Das Schauspiel ist ein Handwerk
Studiert hast du an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf …
Das ist etwas irreführend, denn das Schauspiel ist ein Handwerk, dessen Ursprünge so sehr im Theater liegen, dass auch an der Filmuniversität zu 80 Prozent das klassische Theaterhandwerk gelehrt wird. Zusätzlich haben wir den Bonus, dass wir uns technisch mit dem Film beschäftigen und mit Filmregiestudenten zusammen Projekte machen können.
Im Fernsehfilm „Die Wannseekonferenz“ hast du vor zwei Jahren in einer Riege von männlichen Nazi-Größen die einzige Frau gespielt. War das nicht etwas gruselig?
Das war das erste große Drehprojekt während der Corona-Zeit – bei dem es wirklich ans Eingemachte ging. Einen Tag nach meinem Studienabschluss ging es los. Auch als ich die Texte der Kollegen schon fünfzig Mal gehört hatte, hatte ich jedes Mal wieder einen Kloß im Hals und musste trotzdem stumm mit lächelndem Gesicht dasitzen. Es war trotz des schweren Themas ein Geschenk, mit Regisseur Matti Geschonneck zu arbeiten und Philipp Hochmair, Jakob Diehl und Johannes Allmayer beim Arbeiten zuzusehen.
In der „Tatort“-Folge „Du gehörst mir“ hast du eine psychisch kranke Mörderin gespielt. Machen solche Rollen Spaß?
Spaß ist in diesem Zusammenhang ein schwieriges Wort. Wir haben gerade eine sehr intensive Szene aus „Die Laborantin“ geprobt. Da kann die Probe noch so gut laufen, trotzdem fühlt man sich danach erst mal schlecht – als ob der Körper nicht genau weiß, ob etwas gerade echt ist oder nicht. Man sieht aber durch solche Rollen – ohne die Erfahrung wirklich durchleben zu müssen – etwas von der Welt, was man sonst nicht gesehen hätte. Das ist sehr wertvoll.
„Ich persönlich verlasse mich auf keine feste Schauspielmethode“
Nach der Methode des Method Acting aus den USA, wo du auch sechs Monate unterrichtet wurdest, soll der Schauspieler seine Rolle aus dem eigenen Erleben und Erinnern gestalten. Wie soll das bei einer Figur funktionieren, die gemordet hat?
Ich persönlich verlasse mich auf keine feste Schauspielmethode. Wie ich an eine Rolle herangehe, hängt immer vom jeweiligen Projekt und der Rolle ab. Manchmal sogar von den Kollegen oder von dem Tag, an dem ich spiele. Roland Suso Richter, der Regisseur der „Tatort“-Folge, lässt die Darsteller überhaupt nicht proben, sondern wirft sie direkt in die Szene. Da war ich einfach sehr gut vorbereitet und habe viel mit Vorstellungskraft gearbeitet – mangels einer privaten mörderischen Vergangenheit.
Du hast ja schon vor deiner Ausbildung Filmrollen übernommen. Es heißt, du wurdest auf dem Schulhof entdeckt. Wie hat man sich das vorzustellen?
Ich war elf oder zwölf. Die Lehrer hatten uns gewarnt, weil sich ein fremder Mann auf dem Schulhof herumtrieb. Den habe ich dann ganz mutig gefragt, was er da macht. Er verteilte Zettel für ein Casting für „Das weiße Band“ von Michael Haneke und sagte, ich solle mal vorbeikommen. Das war mein erster Schritt ins Professionelle. Ich hatte ja von meiner Familie aus keinerlei Beziehungen zu Schauspiel und Film, habe aber mit vier Jahren im Kindergarten schon als Schneewittchen den anderen Kindern ihre Texte ins Ohr geflüstert.
„Ich komme aus einer Musikerfamilie“
Du bist ja auch als Singer-Songwriterin unterwegs und 2015 in der Casting Show „The Voice of Germany“ aufgetreten. Hat sich durch diesen Auftritt etwas für dich verändert?
Ich komme aus einer Musikerfamilie. Mein Vater ist Pianist. Ich habe aber irgendwann aufgehört, Klavier zu spielen und angefangen, Songs zu schreiben. „The Voice“ war eher ein Ausflug aus Interesse, weil ich damals für „Letzte Spur Berlin“ ein Mädchen gespielt habe, das an einer Castingshow teilnimmt. Das Tolle an meinem Beruf ist, dass ich alles ausprobieren kann und hinterher etwas zu erzählen habe.
„Die Laborantin“ in den Kammerspielen ist eine Zukunftsvision, in der Bluttests Auskunft über Erbkrankheiten, Gendefekte und die Wahrscheinlichkeit psychischer und körperlicher Erkrankungen geben …
Vielleicht liegt die Vision gar nicht so weit in der Zukunft. Vor einigen Jahren wurde Anklage gegen Elizabeth Holmes, der Geschäftsführerin des Laborunternehmens „Theranos“ erhoben. Dort wurde angeblich ein Bluttest entwickelt, der mit einem Tropfen Hunderte von Krankheiten diagnostiziert. Das war eine Lüge, aber viele Menschen haben es geglaubt.
Welche Folgen ziehen die Ergebnisse dieser Tests im Stück nach sich?
Die Tests geben Information über jegliche vergangene, gegenwärtige und zukünftige Krankheitsbilder. Anhand dieser Bilder wird ein Rating erstellt, über das man sich definiert und das etwas über die Wertigkeit des Menschen aussagt. Das hat Auswirkungen auf den Beruf, auf die Partnerwahl und die Fortpflanzung.
Mit diesen Tests wird aber auch Missbrauch getrieben …
Die Figur, die ich spiele, fälscht einen Test für eine Freundin, die ein schlechtes Rating hat. Daraus entwickelt sie dann eine lukrative Geschäftsidee. Dabei geht es weniger um die kriminellen Machenschaften der Laborantin, sondern um die Folgen für das eigene Selbstbild, wenn man diesem Wahn der Gesellschaft zustimmt oder sich dagegen stemmt.
Die Beobachterposition
Wie viele Informationen sollte man generell über sich preisgeben? Eine Frage, die dich als Schauspielerin, als Person des öffentlichen Lebens, doch besonders betrifft …
Da befinde ich mich noch in der Beobachterposition. Ich habe Kollegen, die gar nicht bei Instagram sind, und andere, die ihr Leben sogar finanzieren über die Offenlegung ihres vermeintlichen Privatlebens. Mich selbst ermüdet es, mich ständig in den sozialen Medien zu präsentieren. Trotzdem finde ich es wichtig, meine Hintergründe beim Erarbeiten einer Figur darzulegen. Bekannte Theaterstoffe bleiben interessant, weil sie von wechselnden Persönlichkeiten gespielt werden. Deshalb sollten diese Persönlichkeiten sich auch zeigen.
Wie würdest du persönlich damit umgehen, wenn es Bluttests wie in „Die Laborantin“ gäbe?
Ich wäre in dieser Gesellschaft ein Niemand. Auf einer Skala von eins bis zehn hätte ich ein Rating von 0,7, weil bei mir sehr kurz nach meiner Geburt Krebs diagnostiziert wurde – mit allen psychischen und körperlichen Folgen. Dass ich jetzt eine Figur spielen kann, die fanatisch in diesem System aufgeht, ist aber toll. Das führt zu spannenden Explosionen.
„Die Laboratnin“ in den Kammerspielen, 1., 5. bis 8., 12. bis 15., 19. bis 22. Oktober 2022, Tickets ab 21 Euro (ermäßigt 14 Euro)