Peter Tschentscher: „Lasst euch nicht in die Irre führen“

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher über das bekannt gewordene Treffen radikaler Rechter bei Potsdam, Hamburger Reaktionen und das, was AfD-Wähler und -Sympathisanten seiner Ansicht nach beachten sollten
„Wir sind die Mehrheit und wir sind stark“: Peter Tschentscher bei der Kundgebung am 19. Januar (©Senatskanzlei Hamburg)

SZENE HAMBURG: Peter Tschentscher, erinnern Sie sich an Ihre Gefühlslage, als Sie vom Treffen radikaler Rechter nahe Potsdam und den dortigen Gesprächsthemen erfahren haben?

Peter Tschentscher: Ich habe in den letzten Jahren schon häufiger schlimme Äußerungen von AfD-Politikern mitbekommen. Dennoch war ich erschrocken, wie unverhohlen rechtsextreme Kräfte in Potsdam über eine systematische sogenannte „Remigration“ von Millionen Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes gesprochen haben. Schon das Wort „Remigration“ ist eine Provokation. Sie reden über Deportationen und wollen zurück in eine Zeit von Unterdrückung, Hass und Gewalt. Das zeigt, wie schnell Populismus in verfassungsfeindliche, Demokratie und Menschen verachtende Aktivitäten umschlagen kann.

Ein starkes Signal gegen Rechtsextremismus

Kontra Rechtsextremismus: Über 100.000 Menschen demonstrierten in Hamburg (©Senatskanzlei Hamburg)

Kurz darauf, bei einer Kundgebung im Rahmen einer der großen Demos in der Hamburger Innenstadt, haben Sie sich in aller Deutlichkeit positioniert: „Wir sind die Mehrheit und wir sind stark!“ Zehntausende Hamburgerinnen und Hamburger standen hinter Ihnen – aber es gibt auch in Hamburg viele AfD-Wähler. Was sagen Sie denen, damit sie sich von der AfD abwenden?

Die große Beteiligung an der Kundgebung war ermutigend. Viele Menschen waren erleichtert, dass von Hamburg aus ein so starkes Signal gegen Rechtsextremismus ausgegangen ist. Den AfD-Wählern und -Sympathisanten sage ich: Lasst euch nicht in die Irre führen. Die AfD benennt Probleme, hat aber keine Lösungen. Doch darum geht es in der Politik: Wir bauen in Hamburg Wohnungen, Schulen und U-Bahnen. Wir schaffen kostenlose Kita-Plätze, Studienplätze und soziale Angebote. Und wir sorgen für Sicherheit mit einer Polizei, die nach rechtsstaatlichen Grundsätzen arbeitet. Rechtsextreme in der Regierung würden den Rechtsstaat dagegen aushöhlen. Das ist eine große Gefahr für die Demokratie und unsere Freiheit.

Unter anderem der SPD wird vorgeworfen, über Jahre hinweg und bundesweit versäumt zu haben, Rechtsextremismus gezielt zu bekämpfen. Wie bewerten Sie diese Kritik auf Hamburg bezogen?

Nein, die SPD tritt seit über 160 Jahren für Demokratie und Freiheit ein. Ich habe als Student noch ältere SPD-Mitglieder kennengelernt, die über ihre Verfolgung in der Nazi-Zeit berichtet und diese Erfahrung an die jüngere Generation weitergegeben haben. In Hamburg gehen wir konsequent gegen rechtsextremistische Aktivitäten vor. Wir haben den Verfassungsschutz hierfür personell verstärkt. Er hat seine Arbeit in den letzten Jahren auch auf das Internet ausgeweitet, sodass wir ein genaues Bild von der Lage in Hamburg haben.

Rechtsextreme in der Regierung würden den Rechtsstaat aushöhlen

Peter Tschentscher

Die handlungsfähige Demokratie

Es macht jedoch den Anschein, als hätte es erst mal zum Äußersten kommen müssen, damit unter anderem die Hamburger SPD sich so klar und kämpferisch gegen Rechtsextremismus stemmt wie zuletzt. Sehen Sie das anders?

Die Position der Hamburger SPD war auch vor dem Ereignis in Potsdam klar und deutlich. Dennoch erfordern besondere Vorfälle noch einmal eine besondere Reaktion. Gemeinsam mit vielen Zehntausenden Bürgerinnen und Bürgern haben wir auf der Kundgebung am 19. Januar von Hamburg aus eine klare Botschaft an die Rechtsextremen in Deutschland gesendet: Wir lassen unser Land, unsere Demokratie und unsere Zukunft nicht noch einmal durch Populisten und Rechtsextreme zerstören. Nie wieder!

Noch wichtiger als ein Blick zurück ist ein Blick nach vorn: Was muss getan werden, speziell auf Seiten jetzt regierender Politiker, damit der Rechtsruck zurückgeht – in Hamburg ebenso wie auf Bundesebene?

Wir müssen zeigen, dass unsere Demokratie auch in Zeiten von Krisen und Konflikten handlungsfähig ist. Dazu gehören Lösungen für den Klimaschutz, die niemanden überfordern. Aber auch Sicherheit für die Renten, den Arbeitsplatz und die medizinische Versorgung. Und im Bereich der Zuwanderung kommt es darauf an, das Recht auf Asyl zu garantieren, aber diejenigen, die aus anderen Gründen zu uns kommen, auf den dafür vorgesehenen Weg der kontrollierten Arbeitsmigration zu verweisen. Unabhängig davon muss der Staat wehrhaft sein und verfassungsfeindliche Aktivitäten konsequent bekämpfen. Wenn die Erfolgsaussichten auf Grundlage der Erkenntnisse der Behörden gesichert sind, sollten wir auch vor dem Verfassungsgericht gegen die AfD vorgehen.

„Die Proteste sind nur der Anfang“

SZENE HAMBURG sprach direkt nach den ersten großen Demos gegen Rechtsextremismus mit Dr. Nils Schuhmacher von der Universität Hamburg und er sagt, „die Proteste sind nur der Anfang“ und sind der Beginn der Auseinandersetzung.

Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 04/2024 erschienen.

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