Theaterkritik: Schimmelreiter op Platt und große Oper bei „Il trovatore“

Während Ingo Putz „De Schimmelrieder“ im Ohnsorg Studio eine sensationelle Inszenierung gelungen ist, erntet „Il trovatore“ in der Staatsoper einige Buhrufe
„Der Schimmelreiter“ Hauke (Laurens Walter) ist den Dorfbewohnern nicht geheuer (©Sinje Hasheider)

De Schimmelrieder: Land unter im Ohnsorg Studio 

Text: Dagmar Ellen Fischer

Meterhoch spritzt das Wasser während der Sturmflut. Ein paar Tropfen verirren sich auch in die Zuschauerreihen: „De Schimmelrieder“nach der Novelle von Theodor Storm schlägt im Ohnsorg Studio hohe Wellen. In Storms berühmter Geschichte spielt die unberechenbare Nordsee die Hauptrolle. Im Bühnenraum ist sie als theatral gezähmte Naturgewalt sehr präsent: als langer, mit Wasser gefüllter Graben (Bühnenbild und Kostüme: Yvonne Marcour). Mittendrin agieren drei großartige Darsteller. Laurens Walter verkörpert überzeugend den eigenbrötlerischen Deichgrafen Hauke Haien, dessen fortschrittliche Ideen zum Deichbau bei den abergläubischen Dorfbewohnern auf Widerstand stoßen. Kristina Bremer und Stephan Möller-Titel übernehmen sämtliche weiteren Rollen, die fürs Verständnis der Handlung vonnöten sind: Schon als Kind fasziniert den Sonderling Hauke die zerstörerische Kraft des Meeres. Zum geachteten Deichgrafen steigt er dank einer Heirat auf, beides befördert den Neid eines Konkurrenten. Doch wirklich fremd wird er der Dorfgemeinschaft, als er einen verwahrlosten Schimmel erwirbt, mit dem er bei Wind und Wetter über den Deich reitet – dem Teufel selbst soll er ihn abgekauft haben. In einer stürmischen Herbstnacht bewährt sich zwar Haukes neue Deichkonstruktion, doch menschliche Schwäche führt letztlich zur Katastrophe …

Bremer und Möller-Titel wechseln sich ab mit dem hochdeutschen Erzählen, sämtliche Dialoge sind hingegen stimmig auf Plattdeutsch. Fast alle Aktionen finden im knöcheltiefen Wassergraben statt, dort wird geschlafen, gearbeitet, geheiratet und gestritten. Rund 30 prall gefüllte Sandsäcke in Kopfkissengröße werden zum Deich oder zum Bett, ein gescheckter Mantel zum Pferd. Ingo Putz ist eine sensationelle Inszenierung gelungen, spartanisch wie das Leben damals, und dennoch sehr sinnlich.

„De Schimmelrieder“ im Ohnsorg Studio, 4. bis 6. April 2024 und weitere Termine

Il trovatore: Belcanto, Brudermord und Buhrufe

Zwei Männer kämpfen erbittert um dieselbe Frau: „Il trovatore“ (©Brinkhoff/Mögenburg)

Text: Sören Ingwersen

Als bedrohlich dunkle Masse quillt der Chor durch die Türen in den alten Palast, den Regisseur Immo Karaman zum Schauplatz von Verdis „Il trovatore“ macht. Riesige Schatten wabern über rissige Wände, und nicht nur auf der herrschaftlichen Treppe flammt immer wieder Feuer auf. Wir befinden uns mitten im Spanischen Bürgerkrieg in den 1930er-Jahren. Graf Luna versucht verbittert, sich an der Macht zu halten. Sein größter Widersacher, Manrico, führt die Aufständischen an – und singt als Troubadour unter den Fenstern schöner Frauen. Namentlich dem von Leonora, auf die auch der Graf ein Auge geworfen hat. Was die beiden verfeindeten Männer nicht wissen und erst am Ende durch die Zigeunerin Azucena offenbart wird: Sie sind Brüder. Bis zum Ende allerdings zieht sich Karamans Inszenierung hin, deren Statik sich nicht nur im Bühnenbild widerspiegelt und die sich außerdem mit einer Vergewaltigungsszene kühn über den Geschmack des Hamburger Opernpublikums hinwegsetzt, das seiner Empörung denn auch mit lautstarken Buhrufen Luft macht.

Weitere Buhs muss Tenor Gwyn Hughes Jones einstecken, als ihm in der Cabaletta des dritten Akts das gefürchtete hohe C entgleitet – dabei ist der Engländer der Einzige an diesem Abend, der mit wahrer Italianità und dem nötigen Schmelz in der Stimme bei der Sache ist. An seinem rüden Gegner Luna, ausgestattet mit Aleksei Isaevs unbeirrbar kraftvollem Bariton, vermisst man die verletzliche Seite. Sopranistin Guanqun Yu entfaltet sich in der Rolle der Leonora klanglich schön, wirkt aber etwas unterkühlt. Dafür verleiht Mezzosopranistin Elena Maximova ihrer Azucena eine erschütternde Tiefe, und Dirigent Giampaolo Bisanti führt mit so viel Esprit und einer so feinfühligen Balance zwischen Graben und Bühne durch die Partitur, dass auch hierfür der Besuch der Vorstellung lohnt.

„Il trovatore“ in der Staatsoper Hamburg, noch bis zum 9. April

Diese Kritiken sind zuerst in SZENE HAMBURG 04/2024 erschienen.

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Bearbeitet von: Sören Ingwersen.

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