Jörn Menge: „Die Nazis wissen, wie sie die Leute kriegen“

Hamburger des Monats Jörn Menge hat 2004 „Laut gegen Nazis“ als eine der ersten Initiativen gegen Rechtsextremismus gegründet. Am Vortag des Interviews konnte die AfD bei Wahlen in Bayern und Hessen Rekordergebnisse erzielen
Aktiv gegen Rechts: Jörn Menge (©Sebastian Mietzner)

Szene Hamburg: Jörn Menge, mit rechtem Gedankengut holt man wieder Stimmen in Deutschland. Ist der Kampf gegen Rechtsextremismus verloren?

Jörn Menge: Man muss sich das so vorstellen, dass man immer kämpfen muss. Wie sagte Smudo so schön auf unserer Pressekonferenz: „Das ist wie eine Impfung. Das muss immer wieder rein gespritzt werden.“ „Laut gegen Nazis“ feiert nächstes Jahr 20 Jahre. Wir warnen seit 2004 davor, dass diese Szene wächst und salonfähig wird. Für uns ist das kein Phänomen. Ich bin gestern nicht weinend zusammengebrochen, sondern hatte sogar noch mehr Zuwachs für die AfD erwartet. Gefährlich ist im Zusammenhang mit AfD und Rechtsextremismus, dass die Leute das immer noch so sehen: Das sind Eintagsfliegen, die hauen wieder ab. Die sitzen jetzt in der zweiten Legislaturperiode, die hauen nicht mehr ab.

Warum werden – mal abgesehen vom Schüren dumpfer Ressentiments – Rechtsextremisten immer stärker?

Die Nazis wissen, wie sie die Leute kriegen. Die haben Bürgerbüros als einzige Partei im Osten wie im Westen. Wenn du Sorgen hast, gehst du zur AfD. An den großen Volksparteien fährt der Zug gerade vorbei. Ich hätte gern eine Reaktion von Scholz zur Wahl gehört. Hab ich aber nicht. Dafür kann ich mich an das Sommerinterview mit ihm erinnern. Und an seine Arroganz. Eine Redakteurin hat sich abgemüht, was er denn jetzt tun möchte. Die SPD lag bei 17 Prozent in den Prognosen und die AfD bei 20 bundesweit. Scholz sitzt da und sagt: Wir überzeugen mit einer guten Politik. Die Redakteurin hat nachgehakt, er hat nur gelächelt und wieder gesagt: Wir überzeugen mit einer guten Politik. Diese Arroganz und Ignoranz macht die Nazis immer stärker. Wir hatten das schon in der Weimarer Republik. Franz von Papen von der Zentrumspartei, der CDU-Gründungspartei, hat Hitler ermöglicht, weil er einer Minderheitsregierung mit ihm zugestimmt hat. Und heute will der Ministerpräsident von Thüringen billigen, dass die AfD mitstimmt, wenn sie Gesetze von ihm gut findet. Es passiert in Deutschland genau das, was wir früher schon hatten: Demokratien passen sich an, Gegenströmungen wie Initiativen gegen Rechts finden keinen Konsens. Wenn es so weiter geht, ist es nicht unwahrscheinlich, dass wir AfD-Ministerpräsidenten haben und Alice Weidel Kanzlerin wird. Die Tendenz wäre – wenn ich den Job nicht machen würde – angsteinflößend.

Angst ist ein fatales Hindernis, wenn du Protest ausübst

Jörn Menge

Hast du manchmal Angst?

Angst? Kenn ich nicht. Wir machen auch sehr fiese Kampagnen, von denen die Nazis nicht begeistert sind. Angst ist ein fatales Hindernis, wenn du Protest ausübst. Ich komm aus einer Nazifamilie und habe die echten Nazis kennengelernt. Mein Großonkel war Leibstandarte Adolf Hitler, SS-Obersturmbannführer, sehr nah am Führer. Der eine Opa war Scharführer der SS. Der war Aufseher im Warschauer Getto, in Neuengamme, in Zwangsarbeitsfabriken von BMW. Und der dritte ist eigentlich der schlimmste: Der andere Großvater war eingezogen als Finanzamtswehrmachtssoldat. Der war fürs Finanzamt in den besetzten Gebieten unterwegs und der hat meiner Großmutter immer Schmuckstücke von deportierten Jüdinnen geschickt. Aus dieser Familie komme ich. Und wenn ich so einen Kameraden sehe, da muss ich schmunzeln. Ich habe die in der eigenen Familie vor mir stehen gehabt als Punkrocker. Deshalb habe ich keine Angst vor denen.

Schutz durch Unterstützung

Wurdet ihr schon mal bedroht?

Nee. Hab ich noch nie erlebt. Fast alle, die ich kenne, die so öffentlich sind wie wir, haben meist einen besseren Schutz durch die Unterstützung vieler. Das kann sich ändern: Je stärker die AfD ist, desto mutiger werden sie. Aber wir werden wie immer versuchen gegenzuhalten. Aber es ist so: Das hat eine Vertreterin von der Amadeu-Antonio-Stiftung mal wunderbar erklärt. Viele Leute, die Öffentlichkeit haben, stehen auf Listen. Leute, die auf diesen stehen, seien dann die ersten, die abgeholt werden. Die Nazis führen grundsätzlich Listen ihrer Gegner. Solange wir Öffentlichkeit erzeugen oder in der Öffentlichkeit sind, ist der öffentliche Raum ein Schutz für alle, die aktiv sind. Was man auch nicht vergessen darf: Es gibt bei jeder Initiative eine Telefonnummer zum Staatsschutz. Es gibt wunderbare Recherche-Initiativen, die auch geholfen haben, den Mordfall Walter Lübke aufzuklären. Diese haben den Täter damals in rechten Chatgruppen recherchiert. Der Täter hat im Netz gemeint, ich geh jetzt dahin und erschieß den, und die anderen haben den angefeuert und motiviert: Ja, mach mal. Diese Initiativen haben die Kommunikation an Verfassungsschutz und Polizei weitergeleitet. Die Behörden haben mithilfe solcher Informationen den Täter ermittelt. Wir kennen solche Initiativen sehr gut und sollten wir feststellen, dass es eine Art von Bedrohung geben könnte, werden wir informiert und etwas unternehmen.

Ihr habt Leute bei den Nazis?

Nein, aber wir kennen Leute, die sich dort in den Chats rumtreiben. Wenn das Bedrohungspotenzial steigt, dann werden wir Maßnahmen ergreifen, um unsere MitarbeiterInnen und UnterstützerInnen zu schützen. Ich kann nur jedem anraten, nicht zu mutig zu sein. Es gibt Leute, die preschen vor. Das können wir nicht empfehlen, weil man nur gemeinschaftlich stark sein kann. Es gab früher viele Gerichtsprozesse gegen Faschos, und viele Journalisten, die drüber berichtet haben, wurden krankenhausreif geschlagen, weil sie allein waren. Mit der nächsten Kampagne werden wir die Nazis wahrscheinlich ärgern.

„Recht gegen Rechts“

Was ist das für eine Kampagne?

Wir starten „Recht gegen Rechts“. Und zwar mit Jung von Matt. Wir nutzen gern die Kreativität von Werbeagenturen, weil die uns sponsoren. Wir achten auf die politischen Inhalte und stellen ein erhöhtes persönliches Engagement in den Werbeagenturen fest. Und das ist die Kampagne: Es gibt eine bekannte Nazimarke, die sehr viel auf T-Shirts und Stramplern zu sehen ist. Die heißt „Vaterland“. Wir haben tatsächlich die Kleidungsmarke „Vaterland“ beim Patentamt in Europa schützen lassen. Jetzt wollen wir das Marke für Marke versuchen. Die Rechten haben ihre Codes meist nicht schützen lassen: Es werden viele Abmahnungen an viele Shops und Hersteller rausgehen. Wenn das über den dpa-Ticker verbreitet wird, wird das für manchen eine Überraschung sein. Du kannst es laufen lassen, wie es alle machen. Wir wollen es aber nicht laufen lassen. Unsere Satzung unseres 2008 gegründeten Vereins sagt das auch: Wir wollen Zusammenschlüsse in der Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus und Menschenverachtung erreichen. Unsere Aufgabe ist es, aufmerksam zu machen.

Was kann der Einzelne gegen Rechtsextremismus tun?

Sich zusammenschließen und immer sein Wahlrecht wahrnehmen. So einfach ist das. Ein Beispiel: Als in Nordhausen OB-Wahlen mit einem AfD-Kandidaten als Favoriten stattfanden, rief eine Initiative zuvor an und meinte: Könnt ihr uns helfen. Dann haben wir mit Smudo, Culcha Candela, Peter Lohmeyer und vielen anderen aufgerufen, zur Wahl zu gehen. Und dazu beigetragen, dass der AfD-Kandidat die Stichwahl verloren hat. Es reicht nicht mehr, sein Like bei uns zu setzen. Jede einzelne Person muss aktiv werden, wenn wir was erreichen wollen. Wenn man politisch was verändern will, darf man das nicht hobbymäßig betreiben, als würde man sich ein T-Shirt bei H&M kaufen. Es ist unser aller Existenz. Ich bin echt sauer, wie ignorant manche Leute sind. Wir haben eine Wahlbeteiligung zwischen 50 und 70 Prozent. Solange die Menschen ihre Mitbestimmungsrechte nicht wahrnehmen, werden wir diesen rechten Ruck nicht stoppen.

Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 11/2023 erschienen.

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