Benin-Bronzen: Geraubte Geschichte

Als erste Stadt Deutschlands gibt Hamburg die legendären Benin-Bronzen an Nigeria zurück. Maßgeblich beteiligt ist Prof. Dr. Barbara Plankensteiner, Direktorin des Museums am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK). Sie kämpft seit Jahrzehnten für die Restitution, die Rückerstattung dieser Raubkunst, und richtet die Abschiedsausstellung „Benin. Geraubte Geschichte“ aus
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Das Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK) gibt die legendären Benin-Bronzen an Nigeria zurück (Foto: Paul Schumweg)

SZENE HAMBURG: Frau Plankensteiner, Hamburg leitet die Rückgabe der Benin-Bronzen ein. Und damit auch das Ende der Völkerkundemuseen, weil ohne Raubkunst die Ausstellungsstücke knapp werden?

Prof. Dr. Plankensteiner: Nein. Wir haben ja nicht nur Raubkunst in unseren Sammlungen. Das ist ein sehr vielfältiges Spektrum an Objekten. Wir sind gerade dabei, in Provenienzforschungsprojekten größere Klarheit zur Herkunft zu gewinnen. Wer waren die Besitzer, wie sind sie zu ihren Sammlungen gekommen, wie bewerten ihre Nachfahren diese Objekte. Das erfordert aufwendige Forschung in Archiven. Aber auch Zusammenarbeit mit Vertretern der Herkunftsgesellschaften, um ein Verständnis zu gewinnen, ob diese Objekte rechtmäßig in den Besitz des Museums gelangt sind. Aber unsere Depots werden sicher nicht leer werden. Die Ausstellung trägt den eindeutigen Titel „Benin. Geraubte Geschichte“.

Was erwartet die Besucher?

Wir zeigen jedes einzelne Stück, um transparent zu zeigen: Daraus setzt sich eine Benin-Sammlung zusammen. Aus wirklich herausragenden Kunstwerken. Und aus Fragmenten, kleinteiligen Dingen, Alltagsobjekten. Wir erzählen, warum es notwendig ist, die Sammlung zurückzugeben. Unter welchen gewaltvollen Umständen diese Dinge nach Europa gelangt sind, über welche Personen das Museum sie erworben hat, was diese Personen vor Ort gemacht haben. Wir erklären auch die Kunst. Was war ihre Bedeutung? Welchen Wert hat sie für die heutige Edo-Bevölkerung im Edo State, dem Kern des ehemaligen Königreichs Benin? Wie interpretieren die Wissenschaftler dort die Werke?

„Man erkennt das Leid der Kolonialzeit an“

Was bedeuten die Werke für die Edo?

Manche Gegenstände werden in religiösen Ritualen verwendet, andere waren Repräsentationskunst des Königs, die den Palast geschmückt hat. Es gibt zum Beispiel. die königlichen Gedenkköpfe, sie spielen eine wichtige Rolle für das ganze Reich. Die waren auf Ahnenaltären aufgestellt, haben an königliche Vorfahren erinnert, aber auch an die spirituelle Bedeutung der Könige, die religiöse Oberhäupter sind und denen man jährlich gedenkt. Diese Zeremonien bestärken die spirituelle Kraft des Königs und sorgen für Wohlbefinden und Wohlstand der Bevölkerung.

Was ist Ihre Empfindung bei der Rückgabe? Trennungsschmerz oder Erleichterung?

Natürlich ist es für Museumsleute immer schwierig, sich von lieb gewonnen Objekten zu trennen. In diesem Fall macht es glücklich, dass dieser Schritt endlich gesetzt werden kann nach so vielen Jahrzehnten. Ich denke, sie werden vor Ort eine viel größere Bedeutung haben als bei uns, weil die Menschen dort eine ganz andere emotionale Bindung zu diesen Werken haben. Auch die junge Generation. Die Restitution bringt zum Ausdruck, dass man das Leid der Kolonialzeit anerkennt. Ich glaube, das ist sehr wichtig für die Bevölkerung vor Ort.

Zusammenarbeit

Seit wann fordert Nigeria die Kunstwerke zurück?

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Im Interview: Prof. Dr. Barbara Plankensteiner, Direktorin des Museums am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK) (Foto: Paul Schumweg)

Seit den 1930er-Jahren äußern Könige den Wunsch, dass gewisse Objekte zurückgegeben werden. In den 1970er-Jahren gab es erste Restitutionsforderungen, auch über die UNESCO. Bénédicte Savoy stellt das in ihrem Buch „Afrikas Kampf um seine Kunst“ sehr schön dar. Nach der Unabhängigkeit haben viele afrikanische Staaten ihr Kulturerbe zurückgefordert. Vergeblich. Es gab keine internationale Gesetzgebung, auf die sich eine Rückforderung von kolonialem Raubgut berufen hätte können. Aber inzwischen ist das eine ganz klare moralische und ethische Entscheidung, wie auch der Außenminister der letzten Regierung, Heiko Maaß, betont hat. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit.

Inwieweit war Nigeria an dem Projekt beteiligt?

Wir haben das große Digitalprojekt „Digital Benin“ ins Leben gerufen. Daran sind nigerianische Historikerinnen und Historiker wie auch Anthropologinnen und Anthropologen beteiligt. Sie haben die Ausstellung mitgestaltet. Wir arbeiten mit nigerianischen Künstlern zusammen, die uns beraten und in der Benin Dialogue Group mitwirken. Die Benin Dialogue Group (BDG) wurde von Nath Mayo Adediran, dem damaligen Direktor der Museumsabteilung der National Commission for Museums and Monuments (NCMM) und mir im Jahr 2010 gegründet, um gemeinsam der Rückgabe den Weg zu ebnen. Wir haben eine Agentur in London eingeladen, die von nigerianischen Historikern betrieben wird. Die haben den Einführungsfilm gemacht. Wir stehen kontinuierlich in engem Austausch mit unseren nigerianischen Kollegen.

Viele Initiativen

Was geschieht mit den Werken nach der Ausstellung?

Es gibt Pläne, in Benin City ein großes Museum, das Edo Museum of West African Art (EMOWAA) zu gründen. Dazu hat man den weltberühmten Architekten Sir David Adjaye eingeladen, eine Vision zu entwickeln. Gleichzeitig soll auf dem Palastgelände ein Royal Museum entstehen in kleinerem Format. Die Werke sollen verknüpft mit zeitgenössischer Kunst dargestellt werden.

Die Ausstellung ist auch eine Auseinandersetzung mit Hamburgs kolonialer Vergangenheit. Wie ist es in der Hansestadt um diese Aufarbeitung bestellt?

Es gibt viele Initiativen: Die Forschungsstelle für postkoloniales Erbe an der Universität Hamburg, einen Runden Tisch, es gibt einen Beirat, der sich mit dem Stadtraum und dem kolonialen Erbe der Stadt beschäftigt. Da sind wir aber nur am Rande beteiligt. Wir haben genug mit unserer Sammlung zu tun (lacht). Wir sind auch ein koloniales Denkmal. Dessen sind wir uns bewusst und dem wollen wir gerecht werden.

Den Blick über den Tellerrand fördern

Sie übernahmen 2017 die wissenschaftliche Leitung des Museums für Völkerkunde in Hamburg, 2018 wurde es in Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK) umbenannt. Wie geht es der Ethnologie in Zeiten, in denen man sich mit Rastalocken der kulturellen Aneignung verdächtig macht?

Das Fach hat sich radikal verändert. Es heißt an den meisten Instituten nicht mehr Ethnologie, sondern Kultur- und Sozialanthropologie. Es beschäftigt sich nicht mit dem Erforschen von „Völkern“, sondern mit der gesellschaftlichen Verankerung des Menschen. Die Forschungsmethoden sind andere als früher. Man arbeitet zusammen. Deshalb ist die Aneignung, die Sie gerade beschrieben haben, ein Gegenstand unserer Forschung.

Ein letzter Satz zu Ihrem Anliegen?

Ich möchte betonen: Das Aufarbeiten des kolonialen Erbes ist für uns ganz wichtig. Das ist ein bedeutendes Thema für uns als Museum in der Stadtgesellschaft und gerade auch das Thema Kolonialgeschichte für Schulen, weil wir da ein spezielles Angebot machen können. Trotz allem ist es uns ein großes Anliegen, auch künstlerische und kulturelle Errungenschaften in den Vordergrund zu stellen, die Bedeutung der Werke und ihre Anerkennung zu fördern. Das fehlt in unserer Gesellschaft, weil der Blick immer nur auf europäischer Kunstgeschichte liegt. In unserer globalisierten Welt ist es wichtig, über diesen Tellerrand hinauszusehen. Das wollen wir mit unserer Arbeit befördern.

Museum am Rothenbaum. Kulturen und Künste der Welt (MARKK)


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