Jahresrückblick: In Hamburg sagt man tschüss

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Nicht prägt einen Jahresrückblick auf das Jahr 2022 so sehr, wie der von Putin begonnene Krieg in der Ukraine, was auch künstlerisch auf Häuserwänden seinen Ausdruck findet (©Marco Arellano Gomes)

2022 wird unzweifelhaft in die Geschichte eingehen, als das Jahr, in dem vieles auf dem Prüfstand stand – auch für die Kultur der Stadt. Ein Rückblick mit Augenzwinkern und der Gewissheit: Alles hat ein Ende, auch dieses verflixte Jahr

Text: Marco Arellano Gomes 

Ein in jeder Hinsicht außergewöhnliches Jahr neigt sich dem Ende. Wenn alle Geschenke gefunden, alle Resturlaubstage eingereicht und alle Weihnachtstage verplant sind, steht Heiligabend vor der Tür, dicht gefolgt von Silvester. Für viele die Tage, um ein wenig zur Ruhe zu kommen, nachzudenken und das Jahr Revue passieren zu lassen. Hier eine kurze Zusammenfassung des Jahres aus Hamburger Sicht mit Schwerpunkt auf die Kultur – ohne jeden Anspruch auf Vollständig- und Ernsthaftigkeit.

Januar

Die Elbphilharmonie feiert 2022 seinen 5. Geburtstag (Foto: Thies Raetzke)
Die Elbphilharmonie feierte im Januar 2022 seinen 5. Geburtstag (©Thies Raetzke)

Gleich zu Beginn des Jahres feiert die Elbphilharmonie ihr fünfjähriges Jubiläum. Wer die etwa 80 Meter lange, leicht geneigte Rolltreppe durch den hellen Tunnel (genannt „Tube“) durchquert und die unzähligen Treppen bis in den Großen Saal mit seinen 2100 Plätzen erkämpft hat, dem bietet sich ein akustisches Feuerwerk. Das lässt verschmerzen, dass die Baukosten mit rund 866 Millionen Euro leicht über den ursprünglich geplanten 77 Millionen Euro lagen. Backstein und Glas, Schein und Sein – die Elphi steht wie kein anderes Bauwerk für die Dualität dieser Stadt. Dass der Besuch der Plaza mit Blick über Elbe, Hafen, Speicherstadt und HafenCity aufgrund gestiegener Betriebskosten – entgegen einstiger Versprechen – möglicherweise bald Eintritt kosten soll, ist hingegen eine politische Posse. War sonst noch was? Ja: Nach einer pandemiebedingten Ewigkeit feiert das lang ersehnte Theater-Musical „Harry Potter und das verwunschene Kind“ im Mehr! Theater Premiere und verzaubert seither die Besucher.

Februar

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Am 28. Januar 2022 erschien das Tocotronic-Album  „Nie wieder Krieg“

Dass die Hamburger Band Tocotronic in ihrer musikalischen Karriere auch manch unzutreffende Zeile verfasste, ist bekannt (Beispiel: „Digital ist besser“). Doch der Titel ihres neuen, am 28. Januar veröffentlichten, 13. (!) Albums, ist dann schon von erschreckend prophetischer Natur: „Nie wieder Krieg“. Bekanntlich kommt es anders. Am 24. Februar greift Russland die Ukraine an und beginnt damit einen Krieg, der viele Ungewissheiten mit sich bringt und seither als „Zeitenwende“ bezeichnet wird. Hamburg wird nicht müde, der Ukraine seine Solidarität zu demonstrieren. Die blau-gelbe Flagge schmückt so manchen Balkon, zeitweise auch den des Rathauses. Auch eine Vielzahl von Kulturinstitutionen gedenkt der ukrainischen Bevölkerung in unterschiedlichsten Formen: durch Aktionen, Spendensammlungen und vieles mehr.

März

Als ahnte das Bucerius Kunst Forum, dass eine Zeit anbricht, in der Verzicht zum Gebot wird, startet im März die Ausstellung „Minimal Art. Körper im Raum“. Wer minimalistisch denken will, muss den Minimalismus gesehen und erlebt haben. Das übt ein. Bedeutende Werke des Minimalismus sind zu sehen und werden mit modernen Kunstwerken verglichen. Weniger ist mehr – das wird das Motto für die Zeit nach der Zeitenwende. War sonst noch was? Ja: Der DOM meldet sich nach fast zwei Jahren Pause zurück: Gebrannte Mandeln, Schmalzkuchen und jede Menge Gewinne, Gewinne, Gewinne buhlen wieder um die Gunst der Besucher. Auf dem Heiligengeistfeld geht es wieder bunt und munter her. Und ja, viele vermissten den DOM sehr.

April

Ein großer Erfolg – und eine willkommene Zerstreuung – ist ab April die interaktive Ausstellung „Van Gogh Alive“, bei der die Besucher durch multimediale Leinwände auf nie gesehene Weise in die Bilderwelten von Van Gogh eintauchen können. Aktuell gibt es mit „Monets Garten“ bereits die Fortsetzung. Ob die interaktiven Wände sensibel auf Kartoffelsuppe, Tomatensuppe und Klebstoff reagieren, ist nicht bekannt. Aber im für Scherze bekannten April kommt auch noch niemand auf diese umstrittene Idee.

Mai

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„Viele haben in den letzten Monaten gemerkt, was alles fehlt“, sagte Kultursenator Carsten Brosda im Interview mit SZENE HAMBURG (©Bertold Fabricius)

Endlich wieder ein wenig Aufatmen – das ist das Gefühl, dass Hamburg durch den Mai trägt. Viele Corona-Einschränkungen fallen. Die Inzidenz sinkt kontinuierlich, die Kultur macht sich – trotz Krieg – Hoffnung auf bessere Zeiten. Konzerte sind wieder am Start, die Club-Szene öffnet ihre Türen. „Ich finde die Idee, gegen den Weltschmerz anzutanzen, eigentlich recht schön“, befindet Kultursenator Carsten Brosda (SPD) im Interview mit SZENE HAMBURG. Allein der Gedanke des auf der Tanzfläche zappelnden, zugleich ein Gedicht von Rainer Maria Rilke vortragenden, Brosda stimmt vergnüglich. Damit die wieder in die Stadt strömenden Besucher auch Kulturangebote jenseits von Elphi, Hafen und Musical wahrnehmen, stellen Kultur- und Wirtschaftsbehörde die Kulturtourismusstrategie vor.

Die Stadtbewohner machen sich hingegen andere Sorgen: Die Lebensmittel drohen wieder knapp zu werden. Im Supermarkt steht man wie zu Beginn der Pandemie wieder vor leeren Regalen. Dieses Mal ist der Krieg die Ursache, nicht die Pandemie. Mehl und Öl sind vergriffen, die Preise schnellen in die Höhe. Es ist ein kleiner Vorgeschmack auf die noch folgende Inflation. War sonst noch was? Ja: Das Montblanc Haus eröffnet in Stellingen. Dort können die Besucher in einem Rundgang alles zu der Geschichte und den Produkten des traditionellen Hamburger Unternehmens lernen. Das Haus sei „eine Liebeserklärung ans Schreiben und eine respektvolle Verneigung vor den Denkern, Träumern und Schöpfern“, so das Fazit des Autors dieses Textes nach dem exklusiven Vorab-Besuch.

Juni

Auch Stadtteilfeste sind wieder möglich. Unter diesen nimmt die altonale seit jeher einen prominenten Platz ein, führt sie doch wie keine zweite vor Augen, wie viel Lebensfreude in der Vielfalt steckt. Für Begeisterung sorgen aber auch diverse andere Open-Air-Angebote – vom Christopher Street Day, über den Schlager-Move und die Stadtpark-Konzerte bis zum Schanzenkino. Die 8. Triennale der Photographie bietet einiges fürs Auge und lässt auch von weit entfernten Orten träumen.

Juli

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Ein rauschendes Fest: Die Verleihung des Genuss-Michel 2022 (©Julia Schumacher)

Fröhliche Stimmung gab es auch bei der Vergabe des Genuss-Michel, dem großen Gastropreis des Genuss-Guide Hamburg. Den Ehrenpreis fürs Lebenswerk erhielt Elias Hanna Saliba, der in Hamburg seit 1984 syrische Küche auf höchstem Niveau bietet. Das ist Urlaub für die Geschmackssinne. Wer hingegen den lang gehegten Traum einer Urlaubsreise tatsächlich wieder antritt, muss bangen: Zum einen ist unklar, ob man den Flieger überhaupt rechtzeitig erreicht, zum anderen, ob die Koffer am Zielort ankommen. Dem Flughafen war – Pandemie sei Dank – zwischenzeitlich das Personal ausgegangen und so bilden sich Schlangen wartender Reiselustiger vor den Security-Checks und Schweißperlen auf der Stirn beim Warten vor den Gepäckbändern. Urlaub stellt man sich irgendwie anders vor.

August

Im August feiert das Museum für Hamburgische Geschichte sein 100-jähriges Jubiläum. Das direkt an den Wallanlagen gelegene Museum gibt nicht nur Einblick in die Geschichte der Hansestadt, sondern stellt mit ihren Ausstellungen wichtige Fragen, die auch für die gegenwärtige Entwicklung der Elbmetropole wichtig sind. Selten schien historisches Wissen wichtiger als in diesen Zeiten. Historisch wirkt auch die Südamerikareise Peter Tschentschers (SPD). Mit einer Delegation reist der Erste Bürgermeister nach Argentinien, Uruguay und Chile, um Energiepartner für Hamburg zu suchen. Es geht um grünen Wasserstoff, um die Gas-Verluste auszugleichen und zugleich etwas fürs Klima zu tun. Ob der Wandel gelingt, ist noch unklar. Aber keine Panik: Udo Lindenberg ist seit August Ehrenbürger der Stadt.

September

In diesem Jahr ist alles möglich. Das beweist auch der späte Start des allseits beliebten Hafengeburtstags im September (sonst im Mai). „Leinen los, wir feiern wieder“, heißt es vom 16. bis 18. September. Das Wetter ist weitestgehend schlecht, die Stimmung weitestgehend gut. Also: Alles wie immer. Sorgen macht den Hamburgern hingegen die Energiepreis-Entwicklung aufgrund der explodierenden Gaspreise. „Ich kann nur an alle Hamburgerinnen und Hamburger appellieren, den Energieverbrauch zu reduzieren und wenn möglich, monatlich einen Betrag zurückzulegen, um sich auf die Jahresabrechnungen vorzubereiten“, sagt Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) SZENE HAMBURG gegenüber. Na dann: Socken an und durch!

Oktober

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Der Film „Rheingold“ von Fatih Akin feierte beim Filmfest Hamburg Weltpremiere (©bombero international/Warner-Bros Entertainment / Gordon Timpen)

Der Oktober steht ganz im Lichte des Filmfest Hamburg, das dieses Jahr sein 30-Jähriges feiert und es filmisch krachen lässt: „Triangle of Sadness“, „Wir sind dann wohl die Angehörigen“, „Zeiten des Aufruhrs“, „Holy Spider“, „The Banshees of Inisherin“ und der neue Fatih Akin-Film „Rheingold“, – das Programm ist hochkarätig und vielfältig. Der rote Teppich (nicht „tote Teppich“, liebe „Abendblatt“- Redaktion!) lebt. War sonst noch was? Ja: Hat was mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), China und dem Hafen zu tun. Aber leider plagen einen Erinnerungslücken …

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Energiekrise hin oder her – inzwischen sind so viele böse Geister in der Stadt, dass es zur bürgerlichen Pflicht wird, sie durch Knallfeuerwerk zu vertreiben (©Mediaserver Hamburg/Jörg Modrow)

November

Die Theatersaison läuft auf Hochtouren, wenn auch vor halb leeren Rängen, hat aber mit dem amerikanischen Erfolgsmusical „Hamilton“ eine Geschichtslektion mit HipHop und Balladen aufzubieten. Die Besonderheit: Das Stück wurde aufwendig ins Deutsche übersetzt. Drei Stunden Geschichte in unterhaltsamer Form: Klingt zunächst nicht nach einer großen Erfolgsformel, ist es aber! Zumindest in den USA brach „Hamilton“ alle Rekorde. Ob es auch hierzulande glückt, wird sich zeigen. Bis zum 30. September 2023 gibt es die Gelegenheit, das Stück im Operettenhaus Hamburg zu sehen.

Dezember

Geschenke-Jagd, überflüssige Jahresrückblicke, Vorfreude auf die Familie, Weihnachten, Streit mit der Familie, Silvester, Neujahr. Kann nur besser werden!

2023

2022 neigt sich dem Ende zu und 2023 wirft seinen Schatten voraus. Neben viel Kultur und Politik steht im November auch ein Geburtstag an: SZENE HAMBURG wird 50 und das ist ein Grund zum feiern!

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